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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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schickte ihr einen Schattenriß. Inzwischen hatte er den Namen der Briefschreiberin in Erfahrung gebracht, und nun setzte ein reger Briefwechsel ein. Er nennt sie bald
Gustchen
, überhäuft sie mit geschriebenen Zärtlichkeiten, und einmal fleht er sie an:
rette mich von mir selbst
.
    Im ersten Brief hatte er auf ihre Frage, ob er glücklich sei, geantwortet:
Ja meine beste ich bin’s, und wenn ich’s nicht bin, so wohnt wenigstens all das tiefe Gefühl von Freud und Leid in mir.
Das war Ende Januar 1775 gewesen, als die Romanze mit Lili begann. In diesem ersten Brief schreibt er noch nichts davon, doch bereits im nächsten. Dort schildert er ihr den
Fastnachts Goethe
, der sich auf den Bällen tummelt, hinter Masken versteckt, galant ist zu den Damen und besonders
einer niedlichen Blondine
, das ist Lili,
den Hof macht,
und
von ein paar schönen Augen am Spieltische gehalten wird
, das ist wieder Lili, oder vielleicht doch eine andere. Dieser
Fastnachts Goethe
kommt sich vor Gustchen ganz
unausstehlich
vor. Er legt ihr den anderen Goethe ans Herz, das ist jener,
der immer in sich lebend, strebend und arbeitend
,
bald die unschuldigen Gefühle der Jugend in kleinen Gedichten, das kräftige Gewürze des Lebens in mancherlei Dramas, die Gestalten seiner Freunde und seiner Gegenden und seines geliebten Hausrats
〈...〉
nach seiner Maße auszudrücken sucht
. Goethe benutzt Gustchen, um durch sie hindurch auf Lili zu blicken, also aus einer Liebesgeschichte in die andere. Dabei tut er so, als wäre der eigentliche Goethe bei Gustchen, und Lilis Liebhaber sei der
Fastnachts Goethe
. Indem die Leidenschaft zu Lili wächst, wird auch der Ton in den Briefen an Gustchen leidenschaftlicher,
o beste wie wollen wir Ausdrücke finden für das was wir fühlen!
    Der Briefwechsel mit Gustchen dauerte länger als die Beziehung zu Lili. Er hörte erst in Weimar auf. Fast vier Jahrzehnte später, 1822, wird Gustchen, verheiratete und inzwischen verwitwete Gräfin Bernstorff, sich wieder bei Goethe melden in Sorge um sein Seelenheil. In seiner Antwort nimmt Goethe Abschied von einer Jugendliebe. Die beiden sind sich nie persönlich begegnet.
    In dieser Phase, als Goethe sich zwischen Gustchen und Lili innerlich so aufteilte, daß er bei der einen seelische Entlastungen suchte für die erotischen Verwicklungen bei der anderen, schreibt er in wenigen Wochen sein Stück »Stella« nieder, das die Liebe eines Mannes zu zwei Frauen zum Thema hat. Das Stück endet mit einer Ehe zu Dritt, was selbstverständlich Skandal machte in der Öffentlichkeit. Gustchen wurde vorsorglich darauf eingestimmt mit der Bemerkung, er frage nicht,
was von dem gehalten werde was er machte
.
    Im Hause Schönemann wird man das Stück nicht gerne gelesen haben. Goethe kann sich nicht entscheiden, was Lili betrifft. Soll er sich in Frankfurt mit dem Geldadel verbinden? Bei Schönemanns (die Mutter, die Brüder, die Verwandten) erwartet man, daß Goethe eine berufliche Karriere ernsthaft anstrebt, als Rechtsanwalt oder auch im Bankhaus. Solche Aussichten aber sind ihm ein Graus,
auf diesem Bassin herum zu gondolieren, und auf die Frösch- und Spinnenjagd mit großer Freundlichkeit auszuziehen
. Vor die Entscheidung gestellt, ob er solch einen Lebensweg wählen soll, wird ihm bewußt, was er später in einem Brief an die Mutter als Gegensatz zweier Geschwindigkeiten beschreiben wird:
Das Unverhältnis des engen und langsam bewegten bürgerlichen Kreises, zu der Weite und Geschwindigkeit meines Wesens hätte mich rasend gemacht.
Darauf werden wir noch zurückkommen.
    Während Goethe mit sich zu Rate ging, ob er sich auf eine noble Hochzeit einlassen sollte, verfaßte er als deftiges Gegenbild zur Kultiviertheit der angesehenen Leute eine Farce unter dem Titel »Hanswursts Hochzeit oder Der Lauf der Welt«. Ein Erzieher, der Anwalt des gesellschaftlichen Anstands, führt seinen Zögling vor, den Hanswurst, den er gut erzogen zu haben glaubt. Hanswurst soll verheiratet werden. Es geht um die Vorbereitungen, um das Fest. Der Erzieher:
Ich sag euch was die deutsche Welt / An großen Namen nur enthält / Kommt alles heut in euer Haus / Formiert den schönsten Hochzeit schmaus.
Dem Hanswurst dauert das alles zu lange und er wird ungeduldig:
Indes was hab ich mit den Flegeln / Sie mögen fressen und ich will vögeln
. Der Dichter des »Werther« kann also auch anders. Der Hanswurst ist unverschämte Natur, sehr direkt, ohne Umweg über die Zivilisation. Brustfleck, der

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