Goethe war’s nicht
lässt nur den Schluss zu, dass Leute von der Bank involviert sind. Oder solche, die an seine Bankdaten kommen. Hacker, zum Beispiel?!“
„Hacker“, murmelte Dieter Wagner vor sich hin. „Hm, ich weiß nicht. Banker, hm, wäre auch komisch, oder? Die haben doch ganz andere Möglichkeiten, sich illegal zu bereichern.“
Und wie auch alle anderen bislang angestellten Vermutungen und Grübeleien, so verlief auch dieser Aspekt in den nächsten Minuten mehr oder weniger im Sande. Und zu jenem Zeitpunkt wusste Herr Schweitzer noch nicht – konnte es ja auch gar nicht wissen – wie nah seine Idee an der Wirklichkeit war. So nah, dass man sich die Hektik der letzten Stunden hätte sparen können, hätte man den Gedanken nur mal zu Ende gedacht. Hätte, hätte …
Um Mitternacht wurde auf Staatskosten chinesisches Essen angeliefert. Herr Schweitzer hatte sich für ein Nasi-Goreng entschieden. Das war zwar eindeutig indonesisch, doch der Chinese von heute ist ja bekanntlich flexibel. Danach setzte Dieter Wagner höchstpersönlich Kaffee auf und man verfiel wieder in den stoischen Rhythmus der letzten Stunden.
Zwar war Herr Schweitzer der Einzige im Raum, der in vertrauter Umgebung die Geduld aufbrachte, Wasser beim Verdunsten zuzuschauen, was seine Freundin Maria schon des Öfteren auf die Palme gebracht hatte, aber diese unsägliche Warterei in Kombination mit drohendem Unheil machte auch ihm mehr als zu schaffen. Ob sich so Leistungssportler vor dem alles entscheidenden Match fühlten, fragte er sich. Eine falsche Entscheidung, eine falsche Bewegung und alles war vorbei. Verhielt es sich so im Leben? Oder gab es Situationen, in denen mehrere richtige Entschlüsse zum Ziel führten? Herr Schweitzer vermochte es nicht allgemeingültig zu beantworten. Es kam wohl auf den Fall an, sinnierte er. Manchmal ist jenes richtig und manchmal auch das genaue Gegenteil davon, erst die Zeit lieferte die Antworten. Meistens jedenfalls. Um sich nicht völlig zu verrennen, griff er nach dem SPIEGEL, der auf dem Tisch lag. Er las einen Artikel über das indische Wirtschaftswunder und vergaß ihn ebenso schnell, wie er ihn gelesen hatte.
Um halb eins erschienen Gil und Paolo wieder auf der Bildfläche. Sie wirkten angeheitert, rissen sich jedoch zusammen, wie Herr Schweitzer fand. Nur einen flüchtigen Gruß warfen sie in die Küche, dann verzogen sie sich ins Wohnzimmer und schalteten den Fernseher ein. Nach den Geräuschfetzen, die bis in die Küche drangen, war unschwer zu erkennen, dass es sich um einen Western handelte, bei dem sich Indianergeschrei mit peitschenden Pistolenschüssen abwechselte. Ein ungleiches Duell, wie stets bei diesen alten Schinken.
Zehn Minuten später kam Fabiana auf die Idee, Brote zu schmieren. „Kuno hat bestimmt Hunger, wenn er kommt nach Hause.“
Niemand wagte einen Kommentar.
Die zweite Geldübergabe
Auch wenn die Uhr sich langsam dreht, so dreht sie sich doch. Kurzum, auch in dieser Nacht sprang der Minutenzeiger auf halb drei.
Wie auf Kommando erhoben sich Mischa Schmidt-Schmitt, Dieter Wagner und Herr Schweitzer. Sylvia Kravat hatte sich schlafen gelegt und Fabiana samt ihrer beiden Söhne saßen im Wohnzimmer und lenkten sich mit ziellosem Umschalten – der Western war aus, die Indianer traditionell tot – von einem Fernsehsender zum anderen ab.
„So“, sagte Herr Schweitzer mit gewollt fester Stimme, „los geht’s. Des Abenteuers letzter Teil.“ Er prüfte den Sitz des Gürtels mit dem Peilsender.
Dieter Wagner sprach ins Walkie-Talkie: „Krause? Alles klar bei euch? Es geht los. Hast du die Peilung auf dem Schirm?“
Ein glasklares „Ja, Chef“ ertönte als Antwort.
„Gut.“ Der BKA-Leiter wandte sich an den Geldboten in spe: „Also, wie gesagt, Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, wir sind immer in Ihrer Nähe. Und die drei rund um den Taxiplatz am Henninger-Turm installierten Infrarot-Kameras sind bereits im Einsatz. Funktionieren einwandfrei. Zur Sicherheit haben wir aber auch in dem Mercedes, den Sie gleich fahren werden, einen Peilsender. Nur zur Not, falls der in Ihrem Gürtel aus irgendwelchen Gründen ausfallen sollte.“
Herr Schweitzer schwitzte. Seine Angoraunterwäsche war in geheizten Räumen doch ein wenig des Guten zu viel. Doch wer weiß, wozu sie noch gebraucht wurde. Er hatte ja keine Ahnung, was in den nächsten Stunden an Überraschungen noch auf ihn wartete. Als er sich seine Lederjacke anzog, fühlte er sich selbst für eine Polarexpedition
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