Goethe war’s nicht
zu viel Stress.
Wagner nahm das Handy entgegen und machte sich Notizen.
Zwei Minuten später bedankte er sich und wünschte einen schönen Urlaub weiterhin. „So, das hätten wir. Die Stranzens sind gerade auf einem Campingplatz in der Nähe von Kopenhagen, morgen wollen sie nach Malmö rüber und dann die Ostküste hoch. Linus hat die Angaben von Gilberto bestätigt. Na ja, mehr oder weniger, er sagte, es sei bestimmt halb eins gewesen, als Gilberto sich verabschiedet hatte. Aber diese halbe Stunde, die bringt uns jetzt auch nicht weiter. Oder, was meint ihr?“
Allgemeines Kopfschütteln.
„Krause! Nur der Form halber: Bitte prüfen Sie nach, ob das Gespräch auch tatsächlich aus Dänemark kam.“
Krause: „Alles klar, wird sofort erledigt.“
„Ach, Herr Schweitzer“, begann Dieter Wagner nach einigen Minuten der Ruhe, „hier ist unser Spezialgürtel, den ziehen Sie sich nachher bitte an.“
„Und was ist daran so speziell?“
„Peilsender, was sonst? Wir wollen Sie doch nicht aus den Augen verlieren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Übergabe am Taxiplatz Henninger-Turm stattfindet. Die werden Sie mit Sicherheit irgendwohin lotsen. Schließlich fahren permanent Autos den Hainer Weg hoch und runter, selbst um diese Uhrzeit. Die werden sich garantiert ein stilleres Örtchen ausgesucht haben.“
„Und im Koffer, ist da auch ein Peilsender?“, erkundigte sich der Sachsenhäuser Detektiv.
„Nein. Wir haben lange überlegt. Das ist zu riskant. Außerdem rechnen die wahrscheinlich genau damit. Die werden das Geld sofort umpacken, wenn es Profis sind. Und davon ist nach Lage der Dinge auszugehen. Aber die Seriennummern aller Scheine sind inzwischen registriert. Zeit genug hatten wir ja.“
Fünf Millionen, dachte Herr Schweitzer, ein hübsches Sümmchen, damit ließe sich ohne Zweifel eine sorgenfreie Zukunft gestalten. Er selbst gehörte zwar auch nicht unbedingt zu den Mittellosen in diesem Land, aber jeden Tag zu prassen war halt nicht drin. Doch er sah es auch von der anderen Seite und die sah so aus, dass Leute, die sich alles leisten konnten, meistens weniger glücklich waren, weil sie all die Annehmlichkeiten des Lebens als gegeben betrachteten und sich auf nichts mehr freuen konnten. Außerdem lebten sie in ständiger Angst, ihre ganze Knete nicht durch irgendwelche Fehlspekulationen den Bach runtergehen zu sehen, um dann die laufenden Kosten ihres Luxus’ nicht mehr aufbringen zu können. Dann schon lieber ein Leben so wie meines, schloss Herr Schweitzer seine Überlegungen ab, ist irgendwie bodenständiger.
Einige Minuten darauf tauchte Fabiana auf. „So, ist jetzt fertig. Kuno wird sich freuen, wenn er kommt nach Hause und seine Hemden sind frisch gebügelt.“ Sie lächelte und sah sie der Reihe nach an. Offenbar wartete sie auf Zustimmung.
Sowohl Dieter Wagner als auch Herr Schweitzer fanden die Situation mehr als absurd. Beim besten Willen konnten sie sich nicht vorstellen, Kuno Fornet würde sich sofort nach seiner Freilassung, so sie denn überhaupt erfolgreich sein sollte, nach seinen gebügelten Hemden erkundigen.
Sylvia Kravat dachte ähnlich, wusste aber dank ihrer Ausbildung über solche Phänomene in Ausnahmesituationen bestens Bescheid. „Das ist gut, Fabiana, dein Mann wird das bestimmt zu schätzen wissen.“
Mit kurzer Verzögerung stimmte auch Herr Schweitzer ins Lied mit ein: „Ja, das glaube ich auch. Kuno wird glücklich sein, sich endlich was Frisches anzuziehen.“
Dieter Wagner beschränkte sich auf ein Kopfnicken.
Endlos strichen die Minuten dahin. Der Sekundenzeiger der Küchenuhr bewegte sich, als habe er mehrere Schlaftabletten intus. Dieter Wagner und Sylvia Kravat lasen Zeitung, während sich Fabiana beschäftigungstherapeutisch weiterhin der Hausarbeit widmete und Herr Schweitzer seinen Gedanken nachhing. Wie gerne würde er gerade jetzt in die Fauna heimischer Ebbelweikneipen eintauchen, anstatt hier doof rumzusitzen und den Minuten beim Zerrinnen zuzusehen. Und vielleicht, nur so zur Entspannung, eine mit reichlich Cognac aufgemöbelte Cola – hehre und illusorische Gedanken, die aber im Knotenpunkt Sachsenhäuser Kapitalverbrechen momentan nichts zu suchen hatten. Hier galt es, sich einzig und allein auf bevorstehende Ereignisse zu konzentrieren. Was die Zukunft wohl brachte? Wie würde die Welt morgen um dieselbe Uhrzeit aussehen? Genau wie heute oder doch anders? Oder würde, falls man den
worst case
mit in seine Überlegungen einbezog,
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