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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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sich in ihm spiegelte, und so entschieden blitzte Goethes Auge. »Die Kunst des Lebens ist: die Aufgabe des Lebens zu erfüllen. Und die Aufgabe des Lebens: aus dem, was man hat, möglichst viel herauszuschinden. Bildete ich mir ein, ein Gott, oder – ja, auch nur ein Bildhauer werden zu müssen, dann wär' auch mein höchstes Bestreben nur Wahnsinn! Aber das werden zu wollen, was mir der Keim meines Wesens zu werden in die Hand gibt, ist vernünftig!«
    »Weil es dafür steht! Bei Ihnen!«
    Geduldig fuhr der tiefe Blick die zärtliche Küste ab. »Man soll nicht reden! Nicht einmal viel denken! Aber: Handeln! Ja, man tut sich das Beste, wenn man möglichst unausgesetzt, aus seiner ausgebildetsten Fähigkeit heraus, handelt; erzeugt; erschafft. Sich nur keine tatlosen Zwischenräume duldet, darin man von der Wiedererfahrung der Unvollkommenheiten, die einen quälen, ins beklagende Nichtstun zurückfällt. Reue ohne Handlung, Philosophie ohne Tat ist verlorene Zeit. Verlorene Zeit aber« – er unterbrach; der Blick, umgedreht, sah: in sanft plötzlichem Feuer erglomm auf dem Dome des Ätna das Abendrot. Breitete sich erobernd aus, rann glühenden Flusses unhinderbar nieder über die Stufen der Berge in die Zinnen der Kastelle von Mola, des Venere und Ziretto, verhundertfacht nieder in die Hügel, die Gärten, die Stadt, und rauschte nun wie die Wolke der rosenfarbenen Verkündigung hinaus ins erwartende Meer. »Verlorene Zeit aber,« fuhr er, das Auge in der Wolke drin, fort, »die unverzeihlichste Sünde an uns selber! Denn einem jeden von uns ist eine Sendung mitgegeben . . . .«
    Hart lachte der Maler auf. »Ein Männlein wie ich, und Sendung!«
    »Wär's ein Verdienst für Sie, Raffael werden zu wollen, wo Sie Kniep zu sein haben?«
    »Und Kniep sein zu wollen, wär' eins?«
    »Das einzige, das ich Ihnen zumessen würde, wenn ich Ihr Schöpfer wäre und Sie nach Ihrer Erdenfahrt zurückkehren müßten zu mir!«
    »Und Ihnen liest es jeder Schneider vom Gesicht ab, daß Sie mehr werden wollen, als alle Ihresgleichen je gewesen sind!«
    »Selbstverständlich!« Der Ölbaum zu Goethes Linken ward beifällig gefächelt vom azurenen Winde, der überm Meer draußen die rosenfarbene Wolke der Verkündigung liebkoste. »Sonst würde ich niemals ich selber! Wenn Sie aber Michelangelo erreichen wollten, dann dürften Sie nicht vergessen, daß der Wille, der uns aussandte, nicht nach dem wägt und mißt, was wir, die anderen, von ihm erschauen, erlauschen und begreifen sehend – sondern nach dem, was in unserer eigenen Brust seinem Willen am nächsten kommt! Ein einziger tapferer Griff in den Schacht der eingeschlossenen Erde hinab, oder hinauf in den höchsten der weitherzigen Himmel, mit der Absicht getan: nicht wehleidig sollst du sein mit dir selber, – und ein Mensch, der Tizian nicht das gröbste Rot nachschauen könnte, vermag mehr zu sein, als Tizian je war! Darin liegt ja das ganze Geheimnis des Lebens: es kennt keine endgültig erschöpften Aufgaben, jeder neue Augenblick überhöht lächelnd die stolz erreichte Höhe des letzten. Darum auch kann jeder von uns zu jeder Stunde mehr werden, als alle, die schone alles gewesen sind; freilich –: einzig heraus aus sich selber! Denn in jedem, der lebt, ward, mit eindeutigen Willen, just derjenige geboren, der nur er sein kann, und kein anderer! Nein, Kniepchen, nein!« Herzlich streichelte er die trübe, nicht zu tröstende Hand. »Es gibt vor dem Gericht des Schöpfers kein Sichgehenlassen in der Klage über die eigene Krüppelhaftigkeit; aber auch kein Ausleihen von Fremdem, kein Genügen am Vorbild. Nur ein einziges zählt: im eigenen Busen zusammenraffen, – geizig! – was gut ist oder werden kann, und es mit kühner Hand hinauswerfen, über die Wechsel der Welt, in die Reife-Macht des segnenden Himmels!«
    »Wenn man aber nichts hat, was man hinauswerfen könnte? Was dann?«
    Lächelnd erhob sich Goethe. »Ihr seid Kinder! Wie die Kinder!«
    »Natürlich!« Jäh wie ein Wasserfall stürzte der plötzliche Mut über Kniep, und gierig schon lauschte die getroffene Seele. »Aber was heißt auch, zum Beispiel: Erde und Himmel gebieten, daß wir nicht wehleidig sein sollen an uns selber?«
    Es war deutliche Liebe im Blick, mit dem der Geborene jetzt den noch Werdenden grüßte. »Man muß sich wichtig nehmen; ernst nehmen. Das versteht sich. Aber man darf die Welt nicht früher in sich allein drinnen finden, bevor man nicht sich in der Welt gefunden hat!

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