Goethe
auch manche verbotene Stunde gelebt in den drei Nächten. Das Gewissen tat weh, wenn er an Lydia dachte, die in Neapel sich unterdes sehnend im Eisenbett neben dem leeren geduldet hatte. »Es ist eine verdammte Sache;« stieß er endlich grimmig heraus, »der Mann in uns wird immer wieder zum Lumpen!« Der Mann neben ihm, Einsamer im Umundum der Weizensaatfelder, die türkisblau, seefahl und meergrün wie hochhügeliges Wellenmeer von Talsaum zu Talsaum wogten, lächelte unberührt. »Zum Lumpen?« – »Also: untreu!« – »Was ist untreu?« – »Wenn man kein Weib ungereizt anschauen kann, das einen richtigen Busen hat!« Ha! Der Mann neben ihm, freilich, der hatte von solchem Stachel des Menschseins keine Ahnung! Der dachte: Kunst, Lernen, Zunehmen im Geiste. Während ihm, dem verschlampten Pinsler, jede Schürze die zeichnenden Finger verrenkte! »Es gibt zweierlei Menschen für jedes Geschlecht,« sagte Goethe gleichmütig, »solche, – aha! jetzt hört die Zwergpalme auf, kommt das Bergland der Kornkammer! – solche, die man sich selber erschafft, und solche, denen man immer wieder begegnet. Den ersten wird man nur untreu, wenn man sich selber untreu wird; den zweiten gehe man aus dem Wege, um sich die Kraft, Menschen zu schaffen, nicht zu zerstören!« – »König der Begriffsmacht,« schäumte innen der Kleinere, »und Frosch in den Hitzen des Blutes! – Diese dicke, dralle Maria in den Nudeln . . .«
»Ma – ria?«
»Marietta!« Das Maultier, unterm Stachel, bockte wiehernd gegen die türkisblaue, seefahle und meergrüne Weizenflut. »Luder sind die Weiber! Wo sie eine Hose sehen . . .«
»Frucht!« riß Goethe herrisch den Satz ab. »Seh Er doch: Frucht, nichts als Frucht!« Die Sonne riß lohende Kreise von Gold aus dem hügelauf und talab rinnenden Meergrün und Seefahl und Lichtblau, wenn die langsam segelnden, dickweißen Wolken unter ihr wichen. Wogig umrauschte den Pfad dann der Duft dieser Hochzeit. Und der Himmel, wie er sich gleich sehkräftig ausspannte über schon Geborenem und Totem, wie über erst Werdendem und Sterbendem, flüsterte nur noch Eines hernieder aus seiner prangenden Höhe: ich muß erzeugen! Und die Erde, obwohl sie die Unzahl der einander mordenden Tiere trug, die unzähligen Steine, die einander Hindernis bauten in jedes Entwicklung, die unzähligen Pflanzen, deren einer rücksichtsloses Wachsen knickte die gleich wilde Werdegier der anderen, flüsterte aus ihrer kreisenden Tiefe empor: ich muß gebären! Von den zackigen Gebirgen nieder, die, immer wieder Tor schaffend und gleich darauf wieder Tor schließend, die reifende Flur immer zwingender hineinschoben in das Mitteherz des Landes, glomm der ältere Kalk mit dem hellen, fast blitzenden Gipse. Von ihren Säumen herüber, die sich weichend der Lockerheit des gesegneten Fruchtbodens hingaben, der gelbliche neue. Aus den Furchen der ährenüberfluteten Äcker empor und aus den Breiten der ungepflügten Felder das satte Violett der Fruchtbarkeit, die in der Vermählung dieser zwei Elemente sich feierte und, Überfluß, Überfluß, Überfluß, alle Blumenwiesen, Hecken, Gräben, Kämme, Geschiebe und Buckel ringsum überwellte. Und all dieses, alles, was da geheimbewegt zog, bebte, wallte und dampfte, flüsterte pochend im ungeheuren Schweigen nur: werde! Mit diesem allem aber aus der Ferne herüber Nausikaa: »Nun habe ich dir gezeigt, daß du dein Nest schon gefunden hast! Zeige nun du , daß es schon zeugt und gebiert!« Und sogleich, während sein Haupt kindhaft hinaufwuchs in die glänzenden Häuche des Werdens, der Reife, der Ernte, – wie aus dem Schaume des Meers Anadyoneme, stieg aus dem Allgesumme des Flüsterns die süße Allmacht des Künstlers! »Gott, oder Götter,« antwortete er, – flüsternd, weil ja den Mann ihm zur Seite der Stachel des Fleisches noch biß, – »verzeiht, was ich bisher, in dumpfer Dummheit, in frevelhafter Trägheit, in feigem Zögern vor dem Mut, den Euer Ruf fordert, gefehlt! Tilget, was wuchs in mir, ohne daß es unmöglich war, daß es nicht wuchs! Und bauet nun kräftig, mit meinen eigenen Händen, . . .« Den Halfter ließ er sinken. Wie? Baute dieser Tempel sich schon? Rissen die gerüsteten Hände schon aus Dichtung und Wahrheit die tragenden Blöcke? Rollten die Bilder schon, webend, vor dem begnadeten Auge, und sprang in der entbundenen Brust schon der Vers?»O du! Nausikaa!« flüsterte er begeisterten Augs vor sich hin; flüsternd nur, daß ihm der
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