Goethe
Unterflächen, und der Stamm, in dieser Erdnähe selber fast farblos und lichtlos, schien dieser vornehmen Bescheidenheit zuzuflüstern: Richtig! Die letzten Geheimnisse eines folgerichtigen Lebens gehen wohl ohne Prunk einher, ohne Schein, aber – selbst sie nicht ohne Anmut und Grazie! Denn gerade sie . . . .
Da stieß ein plötzlicher Windstoß – wie vor einem Zeichen erschrak Goethes Auge – das Fenster in den Saal herein auf und warf, wie eine Handvoll prophetischer Blitze, ein Bündel von Zweigen des Baums in den Fruchtkranz gerade unterhalb Psyches. Und im selben Augenblick erklärte einer der Männer in der Mitte des Saales: »Der Unterschied kommt einzig und allein daher, daß Michelangelo der waschechte römische Katholik gewesen ist, Raffael aber der waschechte Heide!«
Als ob ihn Ameisen angefallen hätten, im Nu, fuhr Goethe auf. Mit zäher Anstrengung, sich nicht zu verraten, zwang er das Auge von neuem empor in die Decke, während die Ohren, unwiderstehlich geweckt, gierig hintenhin lauschten.
»Gewiß nicht!« widersprach ruhig Meyer. »Jede große Kunstepoche ist vom religiösen Trieb gemacht worden. Die Kunst stieg mit dem Eifer und der Allgemeinheit dieses Triebs, und sank, sobald er blaß wurde und nur noch in Gruppen verblieb.«
»Aber . . . . . . .« Bedenklich reckte Reiffenstein das bartlose Kleingesicht. Mit rotgefrorenen Fingern drückte er das Seidenkäppchen auf die schlechte Perücke. »Die Religion der Alten aber war etwas Menschliches. Ein Ausfluß des Nationalgefühls. Ihre Gegenstände blieben daher immer fruchtbar, weil sie das Menschliche heraushoben!«
»Einverstanden!« Geduldig lächelte Meyer. »Die Kunst der christlichen Religion leidet daran, daß die Gegenstände, die sich ihr boten, mehr dem moralischen Menschen als dem sinnlichen angehörten. Ihre Ideale sind praktischer Natur, bedürfen des Handelns; können sich also nicht schon im schönen Sein erfüllen!«
»Und spotten in ihrer begrifflichen Vagheit« – soldatisch setzte Reiffenstein das dürre Bein in den signorilen Terrazzo – »der äußeren, bildlichen Darstellung. Sind unbestimmt, auf keine Einheit der sinnlichen Form zu bringen. Was macht man zum Beispiel mit einer heiligen Dreifaltigkeit?«
Gütig nickte Meyer: all diese Weisheit hatte Roms erster Cicerone von ihm! »All dies ist ja, ganz richtig, der einzige Grund dafür, warum die neue Kunst sich nicht, wie die der Alten, in der Plastik, sondern in der Malerei ausleben mußte!«
» Vide den Bildhauer Michelangelo!« schmetterte mit Posaunenton der martialische Hirth.
»Die Christen boykottierten mit Absicht die Plastik!« Noch spitzer ward Reiffensteins spitze Nase. »Sie war ihnen anstößig, eben weil die alten Götter sie geliebt hatten.«
» Vide Michelangelo, den Maler!« posaunte Hirth noch frecher.
Heiter trippelte Meyer. »Sachte! Der Herr Hofrat hat einstweilen Recht! Weil aber nun die neue Kunst nicht mehr Plastik sein konnte, sondern nur Malerei noch, konnte sie auch das Ideal der plastischen Kunst, . . .«
»Aller Kunst!«
» . . . die schöne Form nicht erreichen! Die Malerei fordert nicht und erlaubt nicht die Bestimmtheit der Form, wie sie die Plastik gestattet und gebietet. Der Maler ist schon infolge des optischen Scheins, dem zuliebe er malt, nicht der Schaffer der plastischen Realität. Eben darum also auch nicht imstande, jenes Reich der Idee zu erreichen, worin die Kunst die Natur überführt, und das der Bildhauer, als der Darsteller der reinsten und schönsten Form, mühelos erwandert. Und deshalb . . . .«
Elastisch schnellte Reiffenstein in die Höhe. »Ziehen wir Raffael . . . . .«
»Den Bildhauer!« tobte Hirth.
» . . . Michelangelo vor! Der logische Sprung, über den Sie zu lachen belieben, ist sofort erklärt! Raffael hat, wenn auch als Maler nicht imstande, den griechischen Plastiker zu erreichen, . . .«
»Was eben Michelangelo zusammengebracht hat!«
»Hier« – apostelhaft hob Meyer gegen Reiffensteins stachlicht gezückten Mund den Finger – »hier liegt der Hund begraben! Michelangelo hat tatsächlich – was ich übrigens auch von Raffael nicht leugne! – jenes Reich der Idee, das dem Bildhauer vorbehalten ist, in der Malerei auch erreicht!«
»Aber nur, weil er Bildhauer war!« triumphierte Reiffenstein.
»Und weil er, wie die Alten, die Gegenstände der Religion nur soweit in seine Kunst aufnahm, als sie das Menschliche zeigten,« vollendete Meyer.
»Und das
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