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Goetheruh

Goetheruh

Titel: Goetheruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Koestering
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in der Prellerstraße. Langsam erwachte in mir der Wunsch nach einem weiteren Lebenselixier: Kaffee. Ich schaltete meine italienische Kaffeemaschine ein und bereitete mir in aller Ruhe einen Espresso. Gemütlich auf dem Sessel neben dem großen Fenster sitzend, genoss ich die kräftige, süditalienische Mischung.
    Dann machte ich mich an die Buchbesprechung. Ich wollte zunächst meine Gedanken einem anderen Thema zuwenden, um mich später wieder mit klarem Kopf der Textanalyse widmen zu können. Außerdem wartete der Redakteur der ›Frankfurter Presse‹, und der konnte manchmal recht fordernd werden.
    Zwei Stunden später klingelte das Telefon. Ich war so konzentriert bei der Arbeit, dass ich es kaum schaffte, den Kopf zu drehen, um auf die Uhr zu blicken: kurz vor sechs.
    Es war Hanna. Während ich mit ihr sprach, musste ich mir eingestehen, dass ich unsere Verabredung vergessen hatte. Meine Gedanken kreisten um eine Lösung. Irgendwie wollte ich Hanna und die Textanalyse, die bis morgen fertig sein sollte, unter einen Hut bringen. Natürlich bemerkte sie mein Zögern.
    »Wenn es dir heute nicht passt, können wir uns auch nächste Woche treffen, ich bin sowieso müde von der Reise!«
    Sie war sehr einfühlsam, baute mir eine Brücke. Ich wollte jedoch die sich anbahnende Kontaktaufnahme auf keinen Fall gefährden und versuchte es deswegen einfach mit der Wahrheit.
    »Weißt du, Hanna, ich habe mich sehr gefreut über deine Nachricht.« Für einen Moment erstrahlten die letzten Worte ihrer E-Mail vor meinen Augen wie eine leuchtende Reklametafel: ›Deine Hanna‹. »Allerdings habe ich ein Problem … heute habe ich Benno getroffen, meinen Cousin, den kennst du doch ?«
    »Benno? Ja, natürlich!«
    »Und der hat … also, ich meine – ich muss ihm helfen, und zwar schnell.«
    »Ich verstehe, das macht doch nichts.«
    Jeder andere Mensch wäre zumindest etwas beleidigt gewesen, aber nicht Hanna. Genau so kenne ich sie aus unserer Jugend, klar und ohne Unterton, glaubhaft und ehrlich. Kann man auf Jugenderinnerungen bauen? Wie stark ändert sich ein Mensch in 25 Jahren?
    Eine leise Brise zog durch das Dachfenster. Mein Blick fiel auf die leere Espressotasse. Und ich fasste einen Entschluss – einen Entschluss, der sich vielleicht als Fehler herausstellen könnte.
    »Also, ich meine, vielleicht möchtest du mir ja helfen bei meinem … Problem?«
    Sie war überrascht. »Gerne, wenn du wirklich glaubst, dass ich dir helfen kann!«
    Diese Reaktion bestärkte mein Vertrauen. Sie hatte sich nicht geändert, stets die gleiche zurückhaltende Art.
    »Kannst du«, sagte ich voller Überzeugung, »mit deiner guten Menschenkenntnis.«
    Ihr Lächeln kroch förmlich durch die Leitung.
    »Bei Pepe, halb acht?«, fragte ich.
    »Gut, ich freue mich!«

     
    ›Pepes Pizzeria‹ lag in der Nähe des Markts, in der Windischenstraße. Seit drei Jahren führte Pepe dort sein Restaurant und hatte sich schnell das Prädikat ›Best Pizza In Town‹ erworben. Wieder zurück im wahren Leben, begann mein innerer Motor auf Touren zu kommen: Aufräumen, zwei Anrufe erledigen, Tisch bei ›Pepe‹ bestellen, kalte Dusche, frisches Hemd. Immerhin fand ich noch Zeit, in meinen gesammelten Goethe-Werken nach den Zitaten des Täters zu suchen. Die Ansprache an die Bäume und das Zitat aus ›Faust II‹ fand ich sofort. Das erste Zitat jedoch war nicht wirklich einfach zuzuordnen, ich musste eine ganze Weile in der zwölfbändigen Gesamtausgabe blättern. Nachdem ich es gefunden hatte, zog ich den zugehörigen Band aus dem Regal und machte einige Notizen. Dann verließ ich die Wohnung.
    Wie immer kam ich zehn Minuten zu spät. Hanna hatte schon an unserem Tisch Platz genommen und stand auf, als ich hereinkam. Sie sah umwerfend aus.
    Hanna Büchler war ein Jahr jünger als ich. Sie hatte eine natürliche, weibliche Figur. Jedenfalls war sie keines von den mageren Models, die man lieber füttern als lieben möchte. Ihre blonden Haare waren auf Kinnlänge geschnitten und die Spitzen nach innen gefönt. Das unterstrich sehr schön ihre ruhigen blauen Augen.
    »Hallo, Hanna, schöne Haare!«
    »Hallo, Hendrik, schöne Arme!«
    Wir lachten beide und umarmten uns mit einem angedeuteten Wangenkuss.
    Ich erinnerte mich wieder an diesen Sommer, in dem wir uns ein bisschen verliebt hatten. Sie war 16 und ich 17. Es war der letzte Ferientag, bevor ich wieder zurück musste, zurück in den Westen, zu meinen Eltern und meinem Abitur. Wir hatten ein kleines

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