Goetheruh
Spiel vereinbart, jeder sollte dem anderen ein Geheimnis anvertrauen, welches er niemals irgendjemandem verraten durfte. Meines war, dass mir ihre langen blonden Haare so gut gefielen, ihres war, dass sie meine braun gebrannten Arme so toll fand. Ja, so war das damals. Und ich glaube, so ist es auch heute. Oder war ich zu naiv? Sollte ich die Jugenderinnerungen vielleicht nicht überbewerten?
Sie wollte nicht eingeladen werden, dazu war sie zu stolz, und ich akzeptierte es. Sie bestellte eine Pizza Alla Casa, Pepes Spezialrezept mit echtem Büffelmozzarella, frischen Tomaten und Basilikum. Ich bestellte eine Pizza Vesuvio mit viel Peperoni.
Der Chianti war hervorragend. Sie nahm ein Tiramisu als Nachspeise, ich musste passen, aufgrund der zwei Thüringer Klöße von heute Mittag. Während des Essens unterhielten wir uns angeregt über verschiedene Themen. Über Hannas Mutter, mit der sie weiterhin in dem Haus in der Humboldtstraße wohnte, über Maiers, die das Haus meiner Großeltern gekauft hatten, über meine Mutter und über Hannas Arbeit als Pharmareferentin. Der Job machte ihr Spaß und sie war erfolgreich. Allerdings war sie inzwischen viel auf Reisen, denn ihr Gebiet hatte sich erweitert. Gera bis Eisenach, Sonneberg bis Eisfeld – das war schon was. Es war schön, mit Hanna zu reden, sie konnte zuhören und die Gedanken ihres Gesprächspartners aufgreifen, ohne sofort das Thema zu wechseln. Ich gab mir Mühe, auf sie einzugehen, bevor wir uns dem Thema des Abends näherten.
Zwischen dem Tiramisu und dem Espresso hielt sie es dann schließlich nicht mehr aus: »Jetzt bin ich aber doch neugierig geworden, was ist denn nun Bennos Problem?«
»Lass uns erst mal den Espresso nehmen, denn was ich zu erzählen habe, ist harter Stoff.«
Sie sah mich verwirrt an.
»Bitte, glaub’s mir!«
Bevor sie weiter nachfragen konnte, kam der Kellner. Wir schlürften genussvoll unseren Espresso. Dann erzählte ich ihr die ganze Geschichte, langsam und ausführlich, weil ich keine Missverständnisse aufkommen lassen wollte und weil ich mir Hilfe erhoffte.
Als ich geendet hatte, überlegte Hanna einen Moment, bevor sie zu sprechen begann: »Pass auf Hendrik, ich muss dich jetzt etwas fragen. Ich weiß, dass du oft eine rege Fantasie hattest – bist du sicher, dass das alles wahr ist, oder willst du mich hier irgendwie … beeindrucken?«
Ich musste kurz lachen, wurde dann aber schnell wieder ernst. »Du hast recht«, antwortete ich, »früher hatte ich eine rege Fantasie und ich hoffe sogar, dass ich ein bisschen davon behalten habe. Doch das alles ist leider die reine Wahrheit. Ich war heute Morgen ziemlich geschockt, weil die Exponate im Goethemuseum für mich zu den wertvollsten historischen Schätzen überhaupt gehören. Deswegen bitte ich dich um deine Hilfe. Nie würde ich dir eine solche Lügengeschichte auftischen, da wäre mir das Risiko viel zu groß, unser Verhältnis zu belasten.«
Sie nickte. »Tut mir leid, aber ich muss solche prinzipiellen Dinge geklärt haben, bevor ich mich in eine Sache emotional vertiefe!«
Das war Hanna. Ich weiß noch, wie ich sie eines Tages bat, mir zu helfen, im Haus meiner Großeltern Ameisen zu bekämpfen. Sie hatten eine Ameisenstraße vom Garten über den Balkon bis ins Bad gebaut und waren zu Hunderten unterwegs. Die Diskussion über die Nützlichkeit von Ameisen und das biologische Gleichgewicht dauerte fast eine Stunde, dann hatte ich Hanna endlich davon überzeugt, dass es nicht schön sei, wenn die Ameisen sich bis ins Schlafzimmer ausbreiteten und dass es draußen genug davon gebe, um das biologische Gleichgewicht zu erhalten. Dann war ihre Hilfe allerdings sehr effektiv – und überraschend. Sie bereitete eine Zuckerlösung zu und legte damit eine Spur vom Balkon an der Hauswand herunter zurück in den Garten. Die Umleitung funktionierte, und Oma war die Ameisen los.
»Der Hauptkommissar ist überzeugt, dass der Täter hinter dem Geld her ist«, erzählte ich, »Lösegelderpressung oder Schwarzmarkt. Was denkst du?«
Sie überlegte. »Den Schwarzmarkt hat dieser Dorst ja offensichtlich unter Kontrolle, und an Lösegelderpressung glaube ich nicht. Normalerweise lassen sich Erpresser doch nicht so viel Zeit damit, eine Forderung zu stellen. Auch die exakt abgestimmten Goethe-Zitate passen nicht wirklich ins Bild.«
»Du denkst an ein Ablenkungsmanöver?«
Sie wiegte den Kopf hin und her. »Möglich, aber ich glaube eher, der Kerl will die Bilder einfach nur
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