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Goetheruh

Goetheruh

Titel: Goetheruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Koestering
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besitzen. Wozu, weiß ich allerdings nicht.«
    Das klang plausibel. Ich grübelte nach. »Vielleicht will er die Bilder tatsächlich auf dem Schwarzmarkt verkaufen, hat lediglich keinen Abnehmer gefunden. Oder er lässt absichtlich erst mal Gras über die Sache wachsen, oder hat sich längst ins Ausland abgesetzt. Oder, oder …«
    »Höre ich da etwa einen leichten Unterton von Resignation?«
    »Kann sein«, murmelte ich.
    »Aber Hendrik, so kenne ich dich ja gar nicht. Denk doch mal daran, wie wir bei deiner Oma Ameisen gejagt haben.«
    Ich sah sie erstaunt an. Wie kam sie gerade jetzt auf die Ameisen?
    »Da hast du auch nicht aufgegeben, so lange, bis wir eine patente Lösung gefunden hatten.«
    Wir hatten also eine Lösung gefunden. Die Wahrheit ist manchmal sehr vielschichtig. Diese Wahrheit, die offensichtlich nichts Absolutes darstellt.
    »Vielleicht hast du recht.«
    »Mit den Ameisen?«
    »Nein … doch, auch … ich meine, mit den Bildern. Vielleicht will er sie ja wirklich nur besitzen.«
    »Das ist zumindest meine Vermutung. Die Frage ist nur: Warum? Und damit solltest du dich auseinandersetzen, nicht mit den kriminalistischen Fragen, die sind Sache der Polizei!«
    Da musste ich ihr zustimmen. Vielleicht hatte ich mich zu sehr auf den kriminalistischen Aspekt konzentriert, doch Benno und Dorst wollten einen Literaturexperten und keinen Amateurdetektiv, der dilettantische Vermutungen anstellte.
    »Hast du eigentlich inzwischen etwas über die Texte herausgefunden?«, fragte sie.
    »Ja, habe ich. Alle Verse stammen von Goethe. Der erste Text war schwer zu finden, weil er nur ein kleiner Ausschnitt aus einem größeren Gesamtwerk ist, das wiederum nicht sehr bekannt ist, die ›Römischen Elegien‹. Der Täter scheint sich gut auszukennen, denn dieses Werk stammt aus der gleichen Zeit wie die gestohlene Zeichnung, und ist zudem über das Thema Italien mit dieser verbunden. Die Textzeile hat er meiner Ansicht nach willkürlich aus dem Kontext gerissen, um uns zu verspotten: Wie ich hereingekommen, ich kann’s nicht sagen. «
    Hanna nickte langsam während ich weitersprach.
    »Der zweite Text ist der Titel eines Gedichtes, in dem Goethe die Bäume anspricht, seine geliebten Bäume, was seine Hingebung zur Natur zeigt:
    Sag ich’s euch, geliebte Bäume,
    Die ich ahndevoll gepflanzt,
    Als die wunderbarsten Träume
    Morgenrötlich mich umtanzt?
    Er bezeichnet die Bäume sogar als Teil seiner Träume, bringt demnach der Natur große Vertrautheit entgegen. Dazu passt sehr gut die Zeichnung Goethes, mit dem Motiv des Gartenhauses und vielen Bäumen. Auch hier wieder datieren Zeichnung und Gedicht aus dem gleichen Jahr. Der dritte Text stammt aus ›Faust II‹. Leben und Sterben, Sinn des Lebens und die Frage nach der absoluten Erkenntnis, das sind Fausts Themen. Der Tod ist das Unbeschreibliche, und Goethe erlebte das Unbeschreibliche auf diesem Schemel:
    Alles Vergängliche
    Ist nur ein Gleichnis;
    Das Unzulängliche,
    Hier wird’s Ereignis;
    Das Unbeschreibliche
    Hier ist’s getan.
    Gleichzeitig spricht aus diesen Zeilen erneut der blanke Hohn, denn: das Unbeschreibliche, hier ist’s getan , hier hat der Dieb tatsächlich ein unbeschreiblich wertvolles Stück entwendet. Das klingt nicht nur, als wolle er uns verspotten, sondern auch wie die Heroisierung der eigenen Tat.«
    Die Geschichte hatte Hanna in ihren Bann gezogen. Ihr Gesicht hatte eine leicht aufsteigende Röte angenommen.
    »Und was schließt du daraus?«
    »Möglicherweise will er uns damit seine Macht demonstrieren. Um uns zu einem späteren Zeitpunkt nachhaltig erpressen zu können, zeigt er uns jetzt seine Macht. Das ist ein durchaus bekanntes Thema aus der Literatur. Und zwar lässt er uns diese Macht nicht nur durch das dreiste Stehlen der Ausstellungsstücke spüren, sondern auch durch sein Wissen. Denn Wissen ist Macht. Das Ganze treibt er auf die Spitze, indem er sich über uns lustig macht. Er verspottet uns, Hanna. Leider muss ich das Benno morgen sagen.«
    »Ja, das musst du wohl«, antwortete sie nachdenklich.
    Wir bezahlten, und ich brachte Hanna nach Hause. Sie war zu Fuß gekommen, obwohl es recht beschwerlich war, die steile Humboldtstraße in der Nacht hochzulaufen. Ich dachte an meine Großmutter. Sie hatte zwei Häuser neben Hannas Eltern gewohnt. Wie oft sie wohl diesen Berg hinaufgelaufen sein mochte? Mit schweren Einkaufstaschen?
    Heute, in dieser schönen lauen Sommernacht machte uns der Weg nichts aus. Aus dem Felsenkeller

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