Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Goetheruh

Goetheruh

Titel: Goetheruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Koestering
Vom Netzwerk:
Rotkäppchen aus dem Keller befreien!«
    Sie lächelte so umwerfend, dass ich beinahe all meine gute Erziehung vergessen hätte. »Dann bis gleich, du böser Wolf!«
    Ich rannte die Treppe hinunter und klingelte Sturm bei Frau Semarak. Sie war schwerhörig, aber immer gut mit Sekt ausgestattet. Nach dem dritten Klingelsturm öffnete sie die Tür. Obwohl sie allein lebte, war sie immer sehr gut gekleidet, mit dezentem, echtem Schmuck und einem sehr gepflegten Äußeren.
    »Herr Wilmut, ich bin doch nicht schwerhörig!«
    »Nein, nein Frau Semarak, natürlich nicht, bitte entschuldigen Sie – die Ungeduld der Jugend.«
    Sie war versöhnt. »Was gibt’s denn so Wichtiges?«
    »Ich brauche ganz dringend eine Flasche Sekt, bitte!«
    Sie sah mich über ihren Brillenrand prüfend an. »Wird auch Zeit, dass Sie mal ’ne Frau finden!«
    Ich rannte mit der eiskalten Flasche wieder nach oben. Hanna saß auf der Couch und tat, als könne sie kein Wässerchen trüben. Nur die Espressotassen waren verschwunden. Später stellte ich fest, dass sie auf wundersame Art und Weise sauber in den Küchenschrank gewandert waren.
    Sie sah mich prüfend an. »Da hast du ja ein praktisches Sekt-Depot im … äh … Keller!«
    Ich lächelte. »Stimmt, als Gegenleistung muss ich sie aber einmal im Monat nach Bad Berka zum Tanzcafé fahren.«
    »Echt?«
    »Ja!«
    »Wie alt ist sie denn?«
    »72.«
    »Super, so möchte ich auch drauf sein, wenn ich alt bin!«
    »Ja, sie ist eine tolle Frau. Sie war in erster Ehe mit dem recht bekannten und erfolgreichen Künstler von Brockwitz verheiratet. Der sah sich aber als den Nabel der Welt an und terrorisierte sie auf eine Art, die man intelligent und liebenswürdig nennen könnte, aber trotzdem setzte er sie ständig unter Druck. Nach zwölf Jahren Ehe war sie so mutig, ihn zu verlassen, um einen weniger egozentrischen, verarmten Naturburschen namens Volzgen zu ehelichen.«
    »Oh, Respekt. Sozusagen vom ›sanften Joch der Vortrefflichkeit‹ in die ›profanen Stunden des Glücks‹.«
    »Besser hätten es weder Goethe noch Schiller ausdrücken können!«
    Ich goss ein, goldperlend strömte der Sekt in die Gläser.
    »Zum Wohl, auf Altmeister Goethe!«
    »Zum Wohl – auf uns!«
    Wir stießen an und tranken, während wir in der Mitte des Wohnzimmers standen.
    »Ich habe mich oft gefragt, welcher seiner Frauenfiguren ich wohl am nächsten käme?«
    »Interessante Frage! Meinst du seine literarischen oder seine zeitgenössischen Figuren?«
    »Ich meine seine tatsächlichen Lebensbegleiterinnen!«
    »Aha.«
    »Und?«
    »Was, und?«, fragte ich.
    »Na, wem käme ich deiner Meinung nach am nächsten?«
    »Ich glaube, Christiane.«
    »Klein, dumm und dick?«, meinte sie herausfordernd.
    »Du hast ja nur gefragt, wem du am nächsten kommst. Ich würde eher sagen, Christiane kommt dir am nächsten. Eine andere könnte dir nie das Wasser reichen.«
    Sie schaute mich ernst an. Wahrscheinlich fragte sie sich jetzt nach der persönlichen Tragweite dessen, was ich gerade gesagt hatte. Und ob ich nicht etwas übertrieben hatte, um ihr zu schmeicheln. Aber ich hatte nicht übertrieben, es kam ehrlich und vollkommen authentisch tief aus meinem Herzen.
    »Wieso Christiane?«, wollte sie wissen.
    »Du hast diese Kombination aus natürlichem Gefühlsleben und praktischer Lebensbewältigung.«
    »So?«
    »Ja, so empfinde ich das.«
    »Aber war sie nicht auch quasi … von Goethe abhängig?«
    »Nein, das glaube ich nicht. Sie hat viel für ihn getan, seinen Haushalt geführt, auch während er in Italien war, zusätzliche Personen beherbergt, sogar Fritz, den Sohn der Charlotte von Stein, seinen Garten in Ordnung gehalten und sein Bett gewärmt. Einmal hat sie ihn sogar vor den napoleonischen Soldaten gerettet. Doch ich glaube, das alles tat sie aus Liebe, nicht aus Abhängigkeit. Gleichzeitig ging sie oft zum Tanzen in die umliegenden Dörfer, zum Beispiel nach Bad Lauchstädt – allein, ohne ihn. Die Weimarer Bürger zerrissen sich natürlich die Mäuler darüber, doch Goethe hat das nie gestört, er ließ ihr diese Freude.«
    »Und er – liebte er sie denn wohl auch, oder hat er sie nur geheiratet, weil sie ihn vor den Franzosen geschützt hat?«
    Ich kam einen Schritt näher. Langsam nahm ich ihre Hand und sagte leise: »Natürlich hat er sie geliebt, sehr sogar!«
    Ich hielt immer noch ihre Hand. Ein wohliger Schauer lief meinen Rücken hinunter. Gerade als sie etwas sagen wollte, klingelte mein neues Handy. Es war

Weitere Kostenlose Bücher