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Goetheruh

Goetheruh

Titel: Goetheruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Koestering
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Großkochberg«, stellte ich lakonisch fest.

     
    *

     
    Stimmen auf dem Gang unterbrachen seine Gedanken. Er öffnete vorsichtig die Tür und wollte gerade sein Zimmer verlassen, da sah er ihn vor sich den Flur hinuntergehen. Er sah ihn zwar nur von hinten, erkannte ihn aber zweifelsfrei: Hendrik Wilmut. Fast wäre er ihm hinterhergelaufen, einfach so, aus Interesse. Doch dann erinnerte er sich daran, dass Wilmut sein Feind war, der größte Feind, den es jemals für ihn gegeben hatte. Schnell verschwand er wieder in seinem Zimmer. Die laute Musik seines Nachbarn war unerträglich. Er würde sich bei Herbert rächen, eines Tages würde er es ihm heimzahlen.
    Warum war Wilmut hier? Er suchte ihn, er war ihm dicht auf den Fersen. Sicher war es das Mädchen aus der Küche, das ihn verraten hatte. Dieses dämliche, junge Huhn! Er würde sie abstrafen müssen. Allerdings hatte das Zeit. Zunächst musste er hier verschwinden. Er wusste auch bereits wohin, alles war vorbereitet. Schließlich hatte er mit solch einer Situation gerechnet und sein Plan beinhaltete immer eine Ausweichmöglichkeit.
    Er schloss die Zimmertür ab, packte seinen Rucksack und bereitete sich darauf vor, in dieser Nacht unterzutauchen. Er würde aber nicht nur einfach verschwinden, nein – er würde seine Operationsbasis verlegen. In ein anderes Haus. In die Höhle des Löwen.

     
    *

     
    Am nächsten Morgen um 5.15 Uhr traf mich das Klingeln des Weckers wie ein Hammerschlag. Nachdem der erste Espresso nicht genügend Wirkung gezeigt hatte, ließ ich zwei weitere folgen. Zum Glück hatte ich wieder saubere Tassen im Schrank – Hanna sei Dank. Danach ging es mir wesentlich besser. Punkt 6 Uhr traf ich mich mit Siggi vor dem Sophienhaus.
    Heute fuhr er seinen privaten Alfa Romeo. Für die ungefähr 40-minütige Fahrt nach Großkochberg war ihm das angenehmer. Mir nicht unbedingt, denn er hatte einen flotten Fahrstil. Bei einer anderen Person hätte ich ihn als riskant bezeichnet, aber ich wusste, dass Siggi – ebenso wie alle seine Kollegen – einmal jährlich ein spezielles Fahrertraining absolvieren musste.
    Es war bereits hell, jedoch sehr neblig. Wir nahmen die Landstraße nach Bad Berka, fuhren von dort über Blankenhain und Teichel nach Großkochberg. Ich kannte die Strecke recht gut, denn ich hatte bereits einige Male Schloss Kochberg besucht, es war der Sommersitz derer von Stein gewesen und auch Goethe hatte hier einige Zeit zugebracht.
    »Woher kennst du eigentlich diese Gaunersprache, dieses …«
    »Rotwelsch?«
    »Ja!«
    »Nun, während meines Studiums …«
    Ich muss wohl sehr überrascht reagiert haben.
    »… Kriminalist«, erklärte er. »Jedenfalls war Rotwelsch das Thema meiner Abschlussarbeit. Der offizielle Titel lautete ›Die deutsche Gaunersprache‹. Die Arbeit enthielt sogar ein kleines ›Wörterbuch der Gauner- und Diebessprache‹.«
    »Du kannst sie also auch sprechen?«
    »Relativ gut, ja, natürlich nicht so wie Bardo oder sein Kumpel, die haben mehr Übung, aber ich verstehe alles.«
    »Interessant, ich dachte immer, Kriminalisten müssen etwas Technisches oder Ermittlungstaktisches als Thema ihrer Abschlussarbeit wählen?«
    »Grundsätzlich ja, meine Thematik war durchaus ungewöhnlich, doch ich hatte einen Kriminaldirektor im BKA als Promotor, der suchte einen Spezialisten für dieses Gebiet, half mir, die Arbeit durchzubringen und verschaffte mir dann direkt einen Job.«
    Ich war beeindruckt.
    »Später habe ich mich beruflich viel mit Fotografie beschäftigt, seit ein paar Monaten mit Digitalfotografie«, berichtete Siggi weiter.
    »Aha.«
    Er zeigte auf den Rücksitz. »Dreh dich mal um.«
    Ich war selbst begeisterter Anhänger der digitalen Fotografie, aber eher aus privaten Gründen, zum Beispiel um auf Porträtfotos von Familienangehörigen irgendwelche Hautunreinheiten zu retouchieren. Bei Siggi handelte es sich natürlich um berufliche Gründe, ebenso professionell war seine Ausrüstung. Eine voll ausgestattete Olympus Spiegelreflexkamera mit digitalem Rückteil und einem kompletten Arsenal von Wechselobjektiven. Das war etwas anderes als meine kleine Taschenknipsarmatur.
    »3.000 DM?«, mutmaßte ich.
    »Mit einigem speziellen Zubehör waren es fast 5.000!«
    Ich pfiff anerkennend durch die Zähne.
    Kurz vor der Ortseinfahrt rief Siggi Bardo auf seinem Handy an. Es war alles vorbereitet und Bardo dirigierte uns durch einige kleine Seitenstraßen in die Nähe eines alten Fabrikgeländes. Wir parkten

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