Goethesturm: Hendrik Wilmuts dritter Fall (German Edition)
unterfordert, das bisschen
Kultur und so, dort könne er die Geschicke einer Weltstadt leiten und müsse
nicht in einem Provinznest versauern.«
Mir
blieb fast der Mund offen stehen. »Und Benno hat das so ohne Weiteres
angenommen?«
»Ja,
hat er. Das ist ja das Schlimme. Er ist wie ausgewechselt, wie ein anderer
Mensch.« Sie begann wieder zu weinen. »Ich möchte meinen alten Benno
wiederhaben!«
Hanna
holte eine Packung Papiertaschentücher aus der Handtasche. Pepe kam vorbei und
stellte Sophie einen weiteren Averna mit Eis und Zitrone hin. »Gehte auf Haus!«
Sophie nickte dankbar.
»Wäre
es denn überhaupt denkbar für dich, mit nach Frankfurt zu gehen?«, fragte
Hanna.
Sophie
schüttelte den Kopf. »Erstens habe ich gerade einen neuen Arbeitsvertrag
unterschrieben, der beinhaltet eine spezielle Fortbildung mit der Option auf
die Chefarztstelle, wenn unser jetziger Chef in Ruhestand geht. In fünf Jahren.
So lange bin ich ans Weimarer Krankenhaus gebunden.«
»Aha,
also eine langfristige Sache«, sagte ich. »Weiß Benno davon?«
»Ja,
natürlich. Außerdem will ich gar nicht weg«, schluchzte sie. »Weimar ist doch
meine Stadt. Versteht ihr das?«
Meine
Stadt. Unsere Stadt. Natürlich verstanden wir das.
»Benno
wollte eigentlich auch in Weimar bleiben, Gärtner hat ihn gebeten, sein
Nachfolger zu werden«, sagte Sophie.
»Und
jetzt?«, fragte ich nach.
»Keine
Ahnung, sie haben sich zwar gestritten wegen der Hartmannsberger, ihr wisst
schon, aber das wird sich wieder klären, ich glaube nicht, dass das ein
Hindernis ist.«
»Wie
aktuell ist denn diese OB-Sache in Frankfurt?«
»Die
Wahl ist erst im März nächsten Jahres, hat er gesagt, aber die
Kandidatenaufstellung beginnt bald. Und die jetzige Oberbürgermeisterin Pia …?«
»Pia
Ross«, ergänzte ich.
»Genau,
die sucht einen Nachfolger. Oder ihre Parteiführung, was weiß ich. Benno hat
angeblich gute Chancen, deswegen will er morgen nach Frankfurt fahren.«
»Du
liebe Zeit, das geht ja schnell …«
Ich
überlegte. Die beiden Frauen sahen mich an.
»Ich
bin morgen auch in Frankfurt. Soll ich mit Benno reden?«
»Ja,
bitte rede mit ihm«, antwortete Sophie, »du bist wahrscheinlich der Einzige,
auf den er noch hört. Falls du ihn dort überhaupt erreichst, er hat nicht genau
gesagt, wo er hinfährt.«
»Das
schaffe ich schon.«
»Danke!«
Sie gab mir spontan einen Kuss auf die Wange. Dann sah sie schuldbewusst zu
Hanna hinüber. »Entschuldige, du hast so einen tollen Mann …«
»Ja,
habe ich«, erwiderte Hanna, »du aber auch, er ist momentan nur etwas …
verwirrt.«
Wir
hatten alle nicht mehr viel Hunger und teilten uns zu dritt eine Pizza. Die
vielgerühmte Pizza bei Pepe schmeckte heute irgendwie fad. Ich war jedoch
sicher, dass dies nicht an Pepe lag. Sophie war leicht angeschlagen, sowohl
mental als auch durch die drei Averna mit Eis und Zitrone. Wir brachten sie
nach Hause in die Tiefurter Allee. Benno und sie lebten dort in seinem
Elternhaus, seitdem Onkel Leo und Tante Gesa im Altersheim waren.
Als
Hanna und ich endlich im Bett lagen, Arm in Arm, waren wir zu müde zum Reden
und zu aufgewühlt zum Einschlafen. Meine Gedanken kreisten um die Ereignisse
der letzten Tage. Vom Theater-Café über das Tennismatch, die Clavigo-Premiere
bis hin zu Pepes Pizzeria. Und immer wieder tauchten Bilder von Benno und
Liebrich auf. Ganz langsam nahm ich eine Änderung an mir selbst wahr. Mein Knie
schmerzte nicht mehr, der Kopf war klar und meine Gedanken fokussiert. Morgen
hatte ich drei wichtige Termine: meine Vorlesung, die Aussprache mit Benno und
das Treffen mit Richard Volk. Ich spürte den Willen und die Kraft, etwas zu
bewegen.
10. An der Johann Wolfgang Goethe Universität
Meine Montags-Vorlesung sollte
um 11 Uhr beginnen und zwei Stunden dauern. Nach der Mittagspause hatte ich
noch bis 15.30 Uhr Studentensprechstunde. Der Dienstag war dann gefüllt mit
Vorlesungen und Seminaren von 8 bis 18 Uhr, sogar die Mittagspause hatte ich
mit einer Besprechung in der Kantine belegt. Dieser spezielle Dienstag war mein
Zugeständnis an die Institutsorganisation, wodurch ich erreicht hatte, nur alle
zwei Wochen nach Frankfurt fahren zu müssen.
Ich
startete am Montag um 7 Uhr von Weimar, genug Zeit, um eventuell einen Stau auf
der A 4 durchzustehen. An der Tankstelle in der Berkaer Straße unweit des
Krankenhauses füllte ich Sprit nach und kaufte eine ›Thüringer Zeitung‹, die
ich schnell auf den Beifahrersitz warf. Zwei
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