Goethesturm: Hendrik Wilmuts dritter Fall (German Edition)
braucht dich jetzt. Ich verschaffe mir einen
Überblick, etwa eine Stunde, dann hole ich dich ab und wir ermitteln zusammen
weiter, einverstanden?«
Ich
nickte. »Danke!« Dann rannte ich los. Hanna saß im Foyer des Krankenhauses auf
einem der Plastesitze. Tränen liefen ihre Wangen hinab. Sie hatte keine Kraft,
aufzustehen, ich kniete vor ihr auf dem Boden und nahm sie in die Arme. So
saßen wir eine Weile, stumm, uns Wärme und Nähe gebend.
»Mir
ist schwindlig, holst du mir bitte einen Kaffee?«
»Na
klar«, antwortete ich.
Als ich
aus dem Bistro zurückkehrte, lag Hanna auf dem Boden. Zwei junge Männer
kümmerten sich bereits um sie. Eine Krankenschwester schnappte sich einen Rollstuhl,
der zusammengeklappt neben dem Eingang stand, und kam auf uns zu. Sie
untersuchte Hanna kurz und fühlte ihren Puls. Hanna öffnete die Augen.
»Wie
heißen Sie?«, fragte die Schwester.
»Sie
ist meine Frau und heißt Hanna Wilmut«, antwortete ich.
»Ich habe
Ihre Frau gefragt, nicht Sie, das ist wichtig!«
Hanna
hob den Arm. »Hanna Büchler«, sagte sie.
Die
Krankenschwester sah mich fragend an.
»Das
ist ihr Mädchenname.«
»Gut,
helfen Sie mir!«
Wir
hoben Hanna in den Rollstuhl und brachten sie in die Ambulanz. Sie wurde auf
eine Trage gelegt, ausführlich untersucht und an einen Überwachungsmonitor
angeschlossen. Ich hielt ihre Hand. Das EKG lief regelmäßig über den Monitor,
das Kontrollsignal piepste laut. Trotzdem schlief Hanna fast augenblicklich
ein.
»Sie ist
okay«, sagte ein Arzt. »Schwächeanfall, Sie brauchen sich keine Sorgen zu
machen. Wir behalten sie trotzdem noch eine Nacht hier, sie braucht Ruhe.« Und
an einen Krankenpfleger gewandt ergänzte er: »Station M3, hier sind die
Unterlagen, sie bekommt ein Beruhigungsmittel, Herr Wilmut kann mitgehen.«
Wir
brachten Sie in den dritten Stock, ich half ihr in ein Krankenhaus-Nachthemd
und gab ihr eine Tablette. »Ruf Benno an!«, war alles, was sie herausbekam,
dann schlief sie wieder ein. Ich saß bei ihr und hielt ihre Hand.
Benno …
ja, ich musste ihn anrufen, obwohl ich keinerlei Lust dazu verspürte, nach all
den Ereignissen, die uns doch recht weit voneinander entfernt hatten. Ich ging
ans Fenster, um Hanna nicht zu stören, und wählte Bennos Handynummer. Die Mailbox
meldete sich, ich versuchte, etwas Sinnvolles draufzusprechen, stotterte aber
wirr herum, mit dem abschließenden Satz, er solle bitte zurückrufen, es sei
wichtig. Vielleicht wusste Benno noch gar nichts von Sophies Tod, ich konnte
ihm solch eine Nachricht schließlich nicht über einen Anrufbeantworter
mitteilen.
Dann
setzte ich mich wieder zu Hanna. Sie schlief unruhig, aber immerhin: sie
schlief. Ich nahm vorsichtig ihre Hand. Ein Gefühl der Zusammengehörigkeit
überkam mich. Ein Gefühl, das ganz tief in mir wohnte, das mir sagte, dass ich
diese Frau um alles auf der Welt schützen wollte.
Zugleich
überfiel mich eine Ahnung. Ich musste auf uns aufpassen. Unser gesamtes Leben
war in Bewegung, in einer Art Abwärtsspirale, die sich immer schneller drehte. Diese
Ahnung hatte ich schon einmal vor drei Jahren, als ich einige Tage in
Untersuchungshaft verbringen musste. Doch diesmal hatte das Ganze eine andere
Dimension angenommen, denn ein mir nahestehender Mensch war ums Leben gekommen.
Es
klopfte leise. Siggi. Ich ging zu ihm hinaus auf den Flur.
»Ist
Hanna in Ordnung?«
»Ja,
schon«, antwortete ich, »ein Schwächeanfall.«
Siggi
nickte. »Kein Wunder.«
»Und
Sophie?«
»Sie
ist wahrscheinlich an der Überdosis eines Medikaments gestorben. Jedenfalls ist
die Konzentration in ihrem Blut extrem hoch. Genaues wissen wir erst nach der
Obduktion. Parallel untersuchen wir, wie es dazu kommen konnte. Auf der Station
P2 ist die Hölle los. Der Chefarzt der Psychiatrie beschuldigt eine
Krankenschwester, die falsche Dosierung am Infusionsgerät eingestellt zu haben.
Die ist völlig aufgelöst, pendelt zwischen Weinen und Widerstand, droht mit dem
Rechtsanwalt und so weiter. Meininger und die beiden anderen Kollegen vernehmen
alle Beteiligten. Ich muss in die Medizintechnik, kommst du mit?«
»Ich
weiß nicht … immerhin läuft hier ein Mörder frei herum und Hanna ist in den
Fall involviert.«
Eine
Krankenschwester mit streng nach hinten gekämmten Haaren kam vorbei. »Schwester
Elke«, stellte sie sich vor, »ich bin die Stationsschwester. Gehen Sie ruhig,
Herr Wilmut. Ihre Frau schläft jetzt, wahrscheinlich bis morgen früh. Ich passe
auf sie
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