Goethesturm: Hendrik Wilmuts dritter Fall (German Edition)
Mitglied des ständigen Schauspielensembles war, bereits seit vielen
Jahren, dass er sich hier im Deutschen Nationaltheater gut auskannte, auch
Mitglied des Betriebsrats war. Wilmut und Heckel. Langsam, aber sicher
beschlich ihn das Gefühl, dass diese Kombination gefährlich für ihn werden
konnte.
25. Über der Bühne
Der Pförtner am Bühneneingang
hatte Christoph Heckel angerufen, doch da dieser bereits geschminkt wurde, ließ
er mir ausrichten, direkt in die Maske 3 zu kommen. Den Garderobengang fand ich
problemlos, dahinter sollten sich die Maskenräume befinden. Ich musterte jedes
Türschild, eines nach dem anderen, bis ich endlich fündig wurde. Ich klopfte.
Ein kräftiges »Herein!« ertönte.
Fast
hätte ich Christoph Heckel nicht wiedererkannt. Seine vollen, welligen Haare
waren kurz geschnitten, schwarz gefärbt und in einer Art, die mich fatal an
Meininger erinnerte, flach an den Kopf geklebt. Er trug ein weißes Hemd mit
weit geöffnetem Kragen, die Maskenbildnerin bearbeitete gerade seine
Gesichtshaut mit Creme und Make-up. Heckel gab mir ein Handzeichen zu warten,
wahrscheinlich konnte er nicht sprechen, bis die Gesichtskünstlerin ihr Werk
vollendet hatte. Mehr und mehr verwandelte sich Christoph Heckel in einen
Lebemann, der erfolglos versuchte, dem Alterungsprozess entgegenzuwirken.
Faszinierend.
»Die
Verschwörung des Fiesco zu Genua«, sagte er endlich. »Friedrich Schiller. Ich
spiele den Sacco, einen der Verschwörer. Die Vorstellung beginnt um 19.30 Uhr,
wir haben noch etwas Zeit. Mögen Sie einen Tee?« Die Maskenbildnerin packte
stumm ihre Sachen und verließ den Raum. »Sie ist immer sauer, wenn man sie bei
der Arbeit stört«, erklärte Heckel. »Aber keine Sorge, alles in Ordnung, die
Maske des Sacco ist nicht so aufwendig. Mögen Sie also einen Tee?«
»Alles
außer Kamillentee«, antwortete ich.
Er
lächelte. »Da habe ich ja Glück gehabt, Schafgarben-Tee, gut für Magen und
Nerven. Bei Schauspielern sehr beliebt.« Er goss mir aus einer Thermoskanne ein.
Ohne
wirkliche Begeisterung nahm ich die heiß dampfende Teetasse entgegen. »Danke,
dass Sie mir helfen«, sagte ich. »Es geht um Joachim Waldmann, den Adlatus von
Reinhardt Liebrich, ich muss ihn unbedingt sprechen.«
»Hmm …«
Er überlegte. »Nicht so einfach, ich kenne ihn kaum, er ist ja erst seit einer
guten Woche hier im Theater. Außerdem ist der Impresario «, er verdrehte
die Augen, »mit seinen Leuten über dieses Haus hergefallen wie ein Schwarm
Heuschrecken.«
Ich
lächelte. Der Tee schmeckte grausam.
»Sie
haben das gesamte Ensemble aufgewirbelt, und Herr von Wengler lässt sie
gewähren. Na ja, immerhin haben sie den ›Clavigo‹ gerettet.«
»Tatsächlich?«
»Ja,
die Premiere war zwar unterirdisch, die Hartmannsberger hat in Frankfurt
garantiert nicht die Marie gespielt, jedenfalls nicht kürzlich, vielleicht vor
zehn Jahren. Aber danach hat sie sich schnell eingearbeitet, die zweite
Vorstellung letzten Mittwoch war erstaunlich gut. Ich denke, grundsätzlich ist
sie eine gute Schauspielerin …« Er zögerte.
»Aber?«
»Na ja,
sie hat etwas Seltsames an sich. Ich kann es nicht genau erklären. Etwas …
nein, mir fällt kein passender Begriff dazu ein. Vielleicht später. Sie wollten
ja auch nicht mit ihr sprechen, sondern mit Herrn Waldmann. Ich glaube,
er liebt das Theater. Ich habe ihn einmal auf dem Schnürboden gesehen, wie er
ganz fasziniert ein Theaterstück verfolgt hat. Der Beleuchter sagt, er hätte
ihn dort letzte Woche mehrmals beobachtet. Vielleicht treffen Sie ihn nachher.
Ich habe Ihnen ja gezeigt, wie Sie hinkommen.«
»Sie
meinen, ich kann während des Fiesco auf den Schnürboden gehen?«
»Ja,
ja, können Sie, ich sage dem Beleuchter Bescheid. Nur … Sie wissen ja: Absolute
Ruhe!«
Ich
nickte. »Vorstellungsbeginn ist 19.30 Uhr?«
»Genau.«
Ich
erhob mich. »Vielen Dank, Herr Heckel, falls uns das hilft, Frau Pajak zu
finden, werde ich Sie lobend erwähnen.«
Er sah
mich ernst an. »Danke, Herr Wilmut, aber das ist nicht nötig. Wichtig ist nur,
dass Frau Pajak nichts passiert. Und ich glaube, Sie können etwas dazu
beitragen.«
Ich verließ das Theater durch
den Bühneneingang, nicht ohne dem Portier mitzuteilen, dass ich zur Vorstellung
wiederkommen wollte. Es hatte zu regnen begonnen, der Scheibenwischer zog
hässliche Schlieren über die Frontscheibe des Passat und die Scheinwerfer der
entgegenkommenden Autos blendeten mich. Zum Glück war Weimar keine
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