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Götter der Nacht

Titel: Götter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Grimbert
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geschickter Verwalter vor als wie ein Hohepriester. Gewiss, er hatte zum Gedeihen des Tempels beigetragen - nicht aber zu dem der Göttin.
    Mit derlei Gedanken im Kopf erfüllte er Dekade für Dekade seine Aufgaben. Er hatte sich in einer öden Gleichförmigkeit eingerichtet, um für seine Sünden zu büßen. Doch damit war es nun vorbei.
    »Eure Exzellenz?«, sagte einer der Novizen, der als sein Diener abgestellt war. »Da sind ein paar Besucher, die Euch sprechen wollen. Einer behauptet, Euch zu kennen. Er wollte seinen Namen nicht nennen.«
    »Bittet sie herein, mein Sohn«, sagte der Emaz, der sich über etwas Abwechslung freute.
    Seine Neugier schlug in Fassungslosigkeit um, als sieben Fremde - darunter ein Riese mit einem Äffchen auf der Schulter - in sein Studierzimmer einfielen. Keiner sprach ein Wort. Als einer die Maske vom Gesicht nahm, wich seine Fassungslosigkeit unbändiger Freude.
    »Lana! Ihr lebt!«, sagte er mit bebender Stimme. »Ihr lebt!«
    Die beiden umarmten sich mit respektvoller Zurückhaltung, doch die Tränen der Maz sprachen Bände.
    »Ich kann es kaum glauben«, stammelte der alte Mann. »Warum habt Ihr Mestebien verlassen? Warum habt Ihr uns so lange im Ungewissen gelassen?«
    »Das ist eine lange Geschichte, Eure Exzellenz, und wir haben nicht viel Zeit. Ich kann ohnehin nicht frei sprechen, in Eurem eigenen Interesse. Eigentlich dürftet Ihr mich nicht einmal sehen.«

    Das Gesicht des Emaz verfinsterte sich. Er trat einen Schritt zurück und musterte die Gefährten seiner ehemaligen Schülerin. Wer waren diese Leute und was wollten sie? Doch nicht etwa …
    »Wir brauchen Eure Hilfe, um in die Heilige Stadt zu gelangen«, sagte Lana. »Das ist der einzige Grund für mein Kommen. Die einzige Bitte, die ich an Euch habe.«
    Drékin lief ein Schauer über den Rücken. Nun war er sicher. Sie suchten das Buch. Diese Fremden wollten das Buch. »Ihr seid Maz«, sagte er aufs Geratewohl, um Zeit zu gewinnen. »Ihr braucht mich nicht, um den Großen Tempel zu betreten.«
    »Ich kann meine Maske nicht abnehmen«, erklärte Lana. »Das wäre zu gefährlich.«
    »Was habt Ihr denn vor?«, fragte er. »Was wollt Ihr in der Heiligen Stadt?«
    »Das erfahrt Ihr besser nicht«, sagte Lana. »Aber seid versichert, dass wir nicht gegen die Moral verstoßen werden.«
    Drékin ging nachdenklich ein paar Schritte auf und ab. Er durfte sich sein Misstrauen nicht anmerken lassen. Die Erfahrung von dreißig Jahren an der Macht half ihm, eine ausdruckslose Miene zu bewahren. »Ihr seid meine Freundin«, erklärte Drékin ernst. »Und Ihr braucht meine Hilfe, also werde ich Euch helfen. Ich hoffe nur, Ihr enttäuscht mein Vertrauen nicht.« Er umarmte Lana noch einmal. »Ich werde eine Robe für jeden von Euch bringen lassen. Ich freue mich sehr, Euch wiederzusehen, Lana«, sagte er aufrichtig, bevor er das Zimmer verließ.
    Vor der Tür wartete er, bis die Fremden zu sprechen begannen, dann drehte er vorsichtig den Schlüssel im Schloss herum. Er schickte seine Diener unter einem Vorwand fort,
verließ das Haus und machte sich auf den Weg in die Heilige Stadt.
    Er hatte viel zu lange gewartet. Er hatte das, was in der eurydischen Lehre als eines der schlimmsten Verbrechen galt, immer wieder auf den nächsten Tag verschoben.
    Er würde ein Buch zerstören. Das Buch. Jenes Tagebuch, das Maz Achem im letzten Jahrhundert den Hohepriestern übergeben hatte und das alle religiösen Überzeugungen der bekannten Welt ins Wanken brachte.
     
     
     
    »Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee war«, sagte Rey, während sie im Studierzimmer des Hohepriesters auf dessen Rückkehr warteten. »Wir hätten uns lieber an den ursprünglichen Plan halten und gleich zum Archiv des Tempels gehen sollen.«
    »Die Tore zur Heiligen Stadt sind bewacht«, knurrte Grigán. »Das habt Ihr doch gesehen.«
    »Die Mauer ist an mehreren Stellen eingestürzt und von Efeu überwuchert! Jedes Kind könnte unbemerkt hinüberklettern und in den Gärten des Tempels spazieren gehen.«
    »Das stimmt nicht«, widersprach Lana. »In Ith herrscht zwar seit ewigen Zeiten Frieden, aber das heißt noch lange nicht, dass unsere Soldaten unfähig sind.«
    In Ermangelung neuer Argumente verstummten sie. Um sich die Wartezeit zu verkürzen, gingen die Erben im Zimmer umher und bewunderten die Gemälde, Wandteppiche und Skulpturen, die verschiedene Szenen aus der eurydischen Mythologie darstellten. Corenn blieb vor einer Sammlung geistlicher Schriften

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