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Götter der Nacht

Titel: Götter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Grimbert
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und wagten nicht, uns zu rühren. Das Ungeheuer musterte uns einer nach dem anderen mit faustgroßen Augen und stieß ein dumpfes Knurren aus. Ein drohendes Knurren.
    Nol sprach zu ihm, und die Kreatur verstummte. Allerdings starrte sie uns weiterhin unverwandt an und schnitt dabei eine furchtbare Fratze, während der Seltsame sie mit leisen Worten in einer unbekannten Sprache zu besänftigen suchte.
    Das, was wir von ihrem Körper sahen, ähnelte einem Menschen, abgesehen vom Kopf, der unförmig wie eine Ozünfrucht war. Das Ungetüm hatte keine Augenlider und keine Nase. Seitlich an seinem massigen Hals befanden sich eine Art Kiemen, die sich regelmäßig hoben und senkten. Sein Mund war riesig und enthielt mehrere Reihen spitzer Zähne, die aussahen wie eine Wolfsfalle. Und diese Missgeburt aus den Untiefen des Mittenmeers starrte uns feindselig an.
    Plötzlich setzte sie sich wieder in Bewegung, und Nol verstummte. Ich hoffte inständig, das sei ein gutes Zeichen, und wollte dem Seltsamen einen fragenden Blick zuwerfen, doch ich konnte die Augen nicht von dem Untier wenden, das nun vollständig zu uns heraufkletterte.
    Der Rest des Körpers hatte nichts Menschliches mehr. Von den Hüften abwärts sah das Ungeheuer aus wie ein überdimensionaler Krebs. Anstelle von Beinen hatte es acht gepanzerte Glieder mit mehreren Gelenken, vier davon mit gewaltigen Scheren am Ende, und einen langen Schwanz. Die Kreatur war dreimal so groß wie wir und schien geradewegs einem Albtraum entsprungen.

    Sie bewegte sich langsam auf uns zu und kroch mit starrem Blick an uns vorbei. Das Klacken der gepanzerten Glieder auf dem Felsboden und das Atemgeräusch der Kiemen hallten von den Wänden wider. Uns drehte sich vor Angst der Magen um.
    »Was … Was ist das?«, stieß Arkane schließlich hervor.
    »Ein Ewiger Wächter«, antwortete Nol. »Einer Eurer ältesten Götter. Sein Name ist Reexyyl, und er ist einer der beiden letzten Leviathane.«
    »Einer unserer Götter? Wie meint Ihr das?«
    Der Seltsame ignorierte die Frage. Später sollten wir Antworten auf all unsere Fragen erhalten. Doch in diesem Augenblick hatten wir nur Augen für das Ungeheuer, das nun auf die Mitte der Höhle zukroch.
    Ein leises Sirren ertönte. Es wurde allmählich lauter und schwoll schließlich zu einem schrillen Pfeifen an. Vergeblich suchte ich nach seinem Ursprung: Der Ton schien von überall her zu kommen. Kurz darauf brach er abrupt ab.
    In der Mitte der Höhle, wo der Leviathan immer noch verharrte, verflüchtigte sich die Dunkelheit auf rätselhafte Weise. Es schien geringfügig heller zu werden, und dann war plötzlich ein Licht zu sehen. Erst war es nur ein winziger Punkt, doch er breitete sich rasch aus und tauchte schließlich die gesamte Höhle in gleißendes Licht. Nun sahen wir, dass die Höhle mehr als fünfundzwanzig Schritte hoch war.
    Erst jetzt entdeckte ich, dass ein seltsames Muster in die Felswände und die Decke gemeißelt war, aber meine Aufmerksamkeit wurde schnell wieder von etwas anderem gefesselt. Die Helligkeit ließ allmählich nach und wich einem verschwommenen Bild. Es wurde von einer Art Nebel verschleiert, der sich nach einer Weile lichtete. Ich erblickte eine Landschaft. Vor uns lag nun nicht mehr die Höhle, sondern ein wunderschönes Tal, über dem die Sonne aufging.

    Die Kreatur war offenkundig nicht im Mindesten verwundert. Sie drehte sich zu uns um, vielleicht aber auch zu Nol, und schien ihrerseits auf etwas zu warten.
    »Was ist das für ein Ort, den wir dort sehen, obwohl das eigentlich unmöglich ist?«, fragte Vanamel.
    »Das sind die Gärten des Dara«, antwortete Nol leise. »Unser Ziel.«
    Wie die anderen hatte ich große Lust, mir die unwirkliche Erscheinung aus der Nähe anzusehen. Doch die Anwesenheit des Ungeheuers hielt mich davon ab.
    »Wie gut gehorcht Euch dieser … Leviathan denn?«, fragte ich vorsichtig. »Bei Eurydis, er scheint uns nicht gerade freundlich gesinnt! Wird er sich nicht plötzlich auf uns stürzen?«
    »Nicht Reexyyl«, beruhigte Nol uns nach kurzem Nachdenken. »Nicht, solange ich bei Euch bin.«
    Später würden wir erfahren, dass Nol schon einige Male die Kontrolle über einen der Ewigen Wächter verloren hatte, zuletzt über den Lindwurm des Landes Oo. Hätte er uns damals davon erzählt, hätten wir niemals den Mut gehabt, ihm zu folgen.
    Denn genau das taten wir nun. Nol der Seltsame führte uns vor die Pforte. Er trat hindurch und kehrte gleich darauf in unsere Welt

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