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Götterdämmerung (German Edition)

Götterdämmerung (German Edition)

Titel: Götterdämmerung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Schwarzer
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beiseite.
    Du darfst dich nicht aufhalten lassen , befahl er sich. Bleib ruhig!
    Er stand auf und ließ sich wieder fallen, weil er Schüsse hörte. Flammen schlugen aus einem Gebäude und beleuchteten die Straße. Simon kroch zu dem ihm am nächsten stehenden Haus. Es hatte Balkone an der Vorderseite, auch im Erdgeschoss. Obwohl die Mauern einige Risse aufwiesen, sahen sie soweit stabil aus. Er rollte sich an einigen Fahrradständern vorbei unter den Balkon. Zwar war seine Sicht von hier aus eingeschränkt, er aber gleichzeitig vor den Blicken anderer geschützt.
    Zwei Personen rannten auf dem Fußweg an seinem Versteck vorbei. Eine davon, eine Frau, kam nicht besonders schnell voran. Sie hinkte. Ihr sackartiger dunkler Mantel stand offen. Um den Kopf hatte sie ein Tuch geschlungen, Nase und Mund mit der Hand bedeckt.
    Er hörte den Schuss, ohne zu erkennen, woher er kam. Die Frau stürzte vornüber auf den Fußweg. Die andere Person zuckte zusammen, als wäre auch sie getroffen worden, rannte jedoch weiter.
    Simon kroch in die hinterste Ecke seines Versteckes und riss sich den Schal vom Gesicht. Er atmete zweimal tief durch und zog sich den Schal wieder vor die Nase. Der Gestank war kaum auszuhalten. Eine penetrante Mischung aus Rauch und Verwesung lag in der Luft. Er hustete leise, weil er den Hustenreiz nicht völlig unterdrücken wollte und hoffte, dass ihn niemand hörte.
    Zwei Gestalten folgten der flüchtenden Person. Als Simon erkannte, dass es sich bei den Verfolgern um Roboter handelte, erschrak er.
    Das darf nicht wahr sein , dachte er erschüttert. Die machen Jagd auf Menschen.
    Einen Moment lang vergaß er zu atmen. Hatte er richtig gesehen? Er starrte auf die beiden Maschinen, die sich zielstrebig vorwärts bewegten und versuchte krampfhaft, nicht die Beherrschung zu verlieren. So lange er denken konnte, hatte er sich davor gefürchtet, dass die Roboter nicht mehr gehorchten. Dass sie sich in steuerlose Monster verwandeln könnten. Diese Angst war zu keinem Zeitpunkt völlig aus der Luft gegriffen, aber dennoch eher vergleichbar mit der vagen Angst vor einer unwahrscheinlichen Naturkatastrophe, etwa dem Einschlag eines Meteoriten oder dem Ausbruch eines Supervulkans. Die Gedanken der Menschen kreisten ständig um solche Bedrohungen. Glücklicherweise wurden die meisten niemals Wirklichkeit. Was Simon jetzt erlebte, ließ ihn auf grausame Weise an seinem Verstand zweifeln.
    Der erste Roboter erinnerte an eines der herkömmlichen Modelle, nur war er viel kleiner und wendiger. Er hatte einen federnden Gang und sprang beinahe beim Gehen. Dort, wo sich sonst der Rumpf befand, sah Simon lediglich ineinander verschlungene Kabel, die ihn an Darmschlingen erinnerten. Die andere Maschine war weitaus Furcht einflößender. Sie hatte überhaupt keine Ähnlichkeit mehr mit einem Menschen und lief auf vier dünnen stachelbewehrten Insektenbeinen. Zwei weitere Gliedmaßen hielt sie in Brusthöhe von sich gestreckt. Auch der Kopf erinnerte an ein überdimensionales Insekt. Die Augen, unverhältnismäßig groß wie Komplexaugen, standen weit vor. Kein Zweifel, dass dieses Wesen in alle Richtungen sehen konnte.
    Der Insektenroboter hielt direkt vor Simons Versteck und verharrte mit in die Höhe gestreckten Vordergliedmaßen. Simon hörte auf zu husten. Mit aller Kraft ignorierte er das hartnäckige Kratzen in seinen Bronchien. Er hielt den Atem an.
    Es riecht mich , dachte er entsetzt, obwohl er nicht wusste, ob Roboter überhaupt riechen konnten. Dieses Wesen erinnerte ihn an ein missgestaltetes Tier. Gleich würde es mit seinen fühlerartigen Gliedmaßen in sein Versteck kriechen, ihn herausholen und wie eine Spinne aussaugen. Sicher konnte es ihn auf irgendeine Art wahrnehmen. Er unterdrückte krampfhaft den Reflex, nach Luft zu schnappen und überlegte angestrengt, ob es noch eine Möglichkeit zur Flucht gab, wenn die Arme erst einmal auf ihn zukamen. Ob er es schaffen würde, sich aufzurappeln und wegzurennen.
    Doch das Wesen wandte sich ab und folgte seinem Begleiter den Fußweg entlang. Keuchend holte Simon Luft. Dann lehnte er sich zitternd an die kühle feuchte Hauswand. Kurz darauf hörte er einen weiteren Schuss.
    Sie werden gleich zurückkommen, dachte er. Sie haben ihre Aufgabe erfüllt. Jetzt kommen sie zurück.
    Er hätte nun aus seinem Versteck kriechen und das Fahrrad, das halb auf der Straße lag, aufheben müssen. Wie es aussah, hatte es nichts abbekommen. Aber er konnte nicht. Seine Beine waren taub.

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