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Götterdämmerung (German Edition)

Götterdämmerung (German Edition)

Titel: Götterdämmerung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Schwarzer
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tauchte es in einen hellen Lichtstrahl. Von außen betrachtet, sah es aus, als klebte sie an dem Strahl fest und würde von dem Wagen hinterhergezogen.
     
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    Simon hielt den Kopf zur Seite geneigt. Er glaubte, nicht mehr lange durchhalten zu können. Jeden Moment musste er zur Seite kippen und das Gleichgewicht verlieren. Die Muskeln in seinen Armen schmerzten. Den Mann, den er trotz seiner nachlassenden Kräfte weiter fest auf den Boden gedrückt hielt, sah er nicht an. Er sah nur die beiden Roboter, die so nah an sein Versteck herangekommen waren, dass er von ihnen nicht viel mehr als die breiten Füße erkennen konnte.
    Er krallte seine Finger fester in das Gesicht des Fremden, ohne es zu bemerken.
    Die Roboter mussten ihn jeden Moment entdecken. Sie brauchten sich nur ein einziges Mal nach unten zu beugen. Dann war es zu spät. Sollte er warten und hoffen, dass die Maschinen doch noch verschwanden? Sollte er wegrennen? So schnell er konnte unter der Brüstung hervor schießen und dann laufen, laufen, laufen? Noch hatte er den Bruchteil einer Chance.
    Er starrte auf sein kaputtes Fahrrad auf dem Fußweg und wünschte sich, er wäre bei Isabelle und Yasmin. Stellte sich vor, er müsste nicht hier unten hocken und auf jede Bewegung ihm unbekannter Roboterneuentwicklungen lauern. Ob die gleichen monströsen Wesen schon die Klinik erreicht hatten?
    Die Roboterbeine standen direkt vor seinem Versteck. Dann gingen sie weiter.
    Simon ließ den Mann auf dem Boden los und betrachtete angewidert seine Hände. Millionen von Viren mussten die Verbindung vom Mund des Mannes über Simons Finger und Handflächen genutzt haben und waren nun auf dem Weg in seinen Körper. HMO A16-Viren! Hektisch wischte er sich die Hände an seiner Jeans ab und verzog angewidert sein Gesicht. Der Fremde kauerte zusammengekrümmt auf dem Boden und atmete schwer.
    Simon kroch aus seinem Versteck und richtete sich mühsam auf. Rücken, Knie, Gelenke – alles schmerzte vom langen Hocken, aber er lief ohne anzuhalten, gekrümmt und mit gesenktem Blick. Er wollte nur noch weg. Der Mann in dem Versteck rief ihm etwas nach, aber das war Simon vollkommen egal. Wenn ihm bloß das Laufen nicht so schwer fallen würde! Er ging an seinem Fahrrad vorbei, ohne es noch einmal anzusehen. Es war sowieso nicht mehr zu gebrauchen.
    Im Schutz der Häuserwände tastete Simon sich vorwärts. Seine Haut kribbelte und juckte. Er glaubte zu spüren, wie Millionen und Abermillionen von Viren Löcher in seine Haut fraßen, sich bis in seine Blutbahnen vorarbeiteten und seinen Körper zersetzten.
     
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    Als Kind war Alexander Naval am Meer gewesen. Ein einziges Mal. Er war erst fünf, erinnerte sich jedoch erstaunlich gut an diese Zeit. Vermutlich weil ihn dieses einzige Mal so beeindruckt hatte. Seine Eltern verreisten grundsätzlich nicht gern – und wenn, dann durfte die Entfernung nicht mehr als 100 Kilometer betragen. Schließlich war sein Vater schon das ganze Jahr über beruflich unterwegs, meist drei oder vier Tage am Stück. Er reiste dabei durch ganz Deutschland, hin und wieder musste er auch ins Ausland. Komischerweise schienen ihn diese Dienstreisen nie zu stören. Alexander konnte sich nicht daran erinnern, dass er auch nur ein einziges Mal darüber geklagt hatte.
    Dieser eine Urlaub am Meer war wunderschön gewesen.
    Noch Jahre später radelte er, sooft er konnte, die zehn Kilometer zum See am Stadtrand, stellte sich so dicht ans Ufer, dass er keinen Boden mehr zu seinen Füßen sah und stellte sich vor, er stünde auf einem Floß, das auf das offene Meer hinaustrieb. Er roch diese typische Mischung aus Algen, Wasser und Holz und war glücklich.
    Als Kind hatte er sich geschworen, alle entgangenen Urlaube an einem Stück nachzuholen. Einen ganzen Sommer lang wollte er sich ein Ferienhaus an der Ostsee mieten. Als er zwanzig war, machte er tatsächlich zwei Wochen Urlaub dort, aber der Zauber war verflogen. Trotzdem blieb die Sehnsucht nach dem Meer.
    RT 501 spürte diese Sehnsucht nicht weniger stark. Einmal, als auf einer Reklametafel ein Boot abgebildet war, das sanft auf den Wellen schaukelte, blieb er stehen und rechnete nach, wie lange es noch dauern würde, die Stadt von den Menschen zu befreien. Wenn er mit seiner Aufgabe hier fertig war, bekam er vielleicht die Erlaubnis, nach Norden zu gehen. Er würde einige Tage, vielleicht Wochen, brauchen, bis er sich an die See vorgearbeitet hätte, aber wenn das letzte Küstendorf eingenommen war,

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