Goetterdaemmerung - Roman
vorschreibt, Christiane in die Arme und fühlte, wie das von ihm erfüllte Herz gegen sein eigenes schlug. Ihre Stimmen erhoben sich zum Unisono, gefolgt von einer ekstatischen Stille, in der nichts zu hören war außer dem unruhigen Murmeln, dem überbordenden und zitternden Rauschen der schönen Frühlingsnacht. Alles war nur Wollust, Beben und Qualen der Liebe; und der Mond, der leuchtend und milchig am Himmel stand, ergoss über die Szenerie einen gewaltigen Liebestrank, der die Menschen zur Liebe zwang. Der Wald lebte und seufzte, die Bäche schwollen an vor Zärtlichkeit, Schauder überliefen die Liebenden, die sich im Dunkel der Bühne umschlungen hielten; mit dieser stürmischen Umarmung ergriffen sie voneinander Besitz. Ein Instinkt gab ihnen eine verborgene Aufrüttelung, im richtigen Augenblick nach vorne zu treten und zu singen; die immer hitzigere Musik voller Feuer und Leidenschaft entflammte und berauschte sie: Zweifel, Skrupel, Gewissensbisse, die beiden Liebenden fühlten, wie jede Last von ihnen und allen Teilen ihrer Seele abfiel. Sie sangen und sangen; alles, was sie sich niemals hatten sagen können, stießen sie jetzt hervor in diesem Gesang, ihrem Vermählungsgelöbnis; sie jubelten, beteten sich an, keuchten unter der übermenschlichen Erfüllung ihrer Liebe; und mit vereinten Seelen, erhoben von einem mächtigen Gefühl, das sie über sich hinauswachsen ließ, und voll übermäßigem Stolz, sich zu ihrem Verbrechen zu bekennen, fiel alle Furcht von ihnen ab. Mit drei Schritten und einer einzigen Bewegung riss Hans Ulrich das Schwert aus dem Stamm und hielt es hoch; dann stürmte er mit seiner Geliebten in den Armen von der Bühne und der Vorhang fiel.
Die Lüster wurden wieder hochgedreht, und der Herzog ging mit seinem Gefolge zurück in den Wintergarten, wohin man auch Hans Ulrich und seine Schwester beorderte, sobald sie umgekleidet wären. Es wurde ein Imbiss serviert, Wild, Fisch, Früchte und verschiedene Rheinweine, mit denen Seine Hoheit Toasts ausbrachte; damit sich Christiane ein wenig von einem Schwindelanfall erholen könnte – denn sie war bei ihrem Eintreten so verändert erschienen, dass alle aufgeschrien hatten –, schlug der Herzog vor, im Garten bei Fackelschein den gefrorenen Wasserfall an der Grotte zu betrachten. Es gab Lichtspiele, über die sich die Gesellschaft amüsierte, bis die zunehmende Kälte den Herzog ins Haus zurücktrieb. Hans Ulrich und seine Schwester gingen als Letzte über den schneebedeckten Weg; dann stiegen sie, ohne ein Wort zu wechseln, in ihr Kabinett hinauf.
Sie setzte sich in einen Sessel; der bleiche Hans Ulrich stellte sich ans Fenster. Der Mond stand voll und trostlos am Himmel und schien sie mit lebhaften Augen anzusehen, und während Hans Ulrich die sich endlos fortsetzenden Sterne betrachtete, dachte er vage über die unendliche Tiefe der Welten nach. Plötzlich zuckte er zusammen, Christiane war aufgestanden; und ihre Schritte in seinem Rücken, ihre leisen Schritte versetzten ihn in Schrecken, als sei ihm der Tod auf den Fersen. Furchtbare Bruchstücke aus einem Traum bedrängten ihn. Wieder sah er die angezündeten Kerzen, einen hier und da herumfliegenden schwarzen Sarg und wie er mit aufgerissenen Augen seine nackten Füße anstarrte, auf denen er fünf fahle Pusterln zählte. Sein Herz schlug zum Zerspringen; er fühlte sie hinter sich, vielleicht mit einem grässlichen Gesicht, einem von Würmern zerfressenen Totenschädel. Wahnsinnig vor Schrecken drehte er sich um und sie standen sich Auge in Auge gegenüber. Da warf sie sich mit einem langen Seufzer in seine Arme und presste ihren Mund auf seinen.
Gegen halb fünf Uhr morgens ließen zwei aufeinanderfolgende Detonationen alle im Gebäude aus dem Schlaf hochfahren. Giulia, die sich erst zu Bett gelegt hatte, nachdem sie Hans Ulrich aus dem Gemach seiner Schwester hatte kommen sehen, griff schnell nach einem Hauskleid und lief zum Schlafzimmer des Grafen. Dort befand sich alles in äußerstem Durcheinander und die Türen waren aufgerissen, während bestürzte Diener umherliefen und sich gegenseitig anrempelten. Graf Ulrich hatte sich zunächst mit einer von Herzog Karls Pistolen in die Brust geschossen und sich dann, als er noch lebte, eine Kugel in den Kopf gejagt.
VI
Im Palais gab es Listen, in die sich viele Leute eintrugen, und dazu gerade so viele Ellen schwarzes Tuch, wie es der Anstand erforderte. Was seinen Kummer anlangte, so hatte der Herzog den «Sohn der
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