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Goetterdaemmerung - Roman

Goetterdaemmerung - Roman

Titel: Goetterdaemmerung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: El mir Bourges
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Zuneigung wiederbelebt, den er noch für sie in seiner fühllosen und abgestumpften Seele hatte …
    Man kann sich vorstellen, dass sich der Italiener mit freudiger Miene zu der Favoritin begab. Obwohl es früh am Morgen war, öffnete der Name des Herzogs alle Türen. Giovan näherte sich langsam, grüßte die Sängerin schon von Weitem; und ohne dass er es erklären konnte, umgab diese Begegnung in seiner Erinnerung stets etwas Rätselhaftes. Die Belcredi saß ganz hinten in ihrem Boudoir, wo sie einen kleinen Diwan hatte hinstellen lassen, mit einem Schreibzeug auf den Knien und einer Feder in der Hand. «Wem schreibt sie denn?», fragte sich Giovan, als Giulia die Blätter zusammenfaltete.
    Er glaubte auf einem bereits beschrifteten Umschlag neben ihr das Wort «Wien» ausgemacht zu haben, wenngleich er das nicht hätte beschwören mögen, und wie sollte man bei all den Freunden der Sängerin in Wien den Adressaten erahnen?
    Dank dieser glücklichen Fügung lag es nun in Giulias Hand, sich wieder mit dem Herzog zu verstehen, und zwar besser als je zuvor. Doch schien die Sängerin weit entfernt davon, über eine solche theatralische Veränderung zu triumphieren, die Avancen des Herzogs kaum wahrzunehmen und sich manchmal sogar gegen sie zu sträuben. Man sah sie in der entferntesten Ecke des Zimmers sitzen (meistens neben dem letzten der drei Porphyrtische, die voller Vasen und Schmuckstücke zwischen den Fenstern standen), gleichgültig schweigend, sodass sie schließlich nicht einmal mehr antwortete, wenn ihr nicht ausdrücklich eine Frage gestellt wurde, und sie gänzlich davon in Anspruch genommen schien, die silberne Reiterstatuette des Kurfürsten Otto Ludwig zu betrachten oder die kleine, mit Emaillefiguren bevölkerte Silberkirche mit Darstellungen von Fürsten und Fürstinnen des Hauses Blankenburg.
    Im vorderen Teil des Raumes spielten die beiden Kumpane ihre Komödie rund um das Sofa, auf dem Karl von Este im Schneidersitz thronte: Der eine ging Reden schwingend auf und ab und «sinnierte» unentwegt über seine Büsten; während Giovan herumlief, Sprünge machte, seufzte, die Augen verdrehte und den lieben langen Tag von der göttlichen Lyonnette sprach. Sie habe dies gesagt, jenes getan; sie nenne ihn einen «kreuzfidelen Kerl», einen «alten Grobian», könne man das nachvollziehen? Und diese Hände! Diese Grübchen! Und ein Busen! Denn der Italiener verheimlichte jetzt nicht mehr, dass er sie besuchte. «Aber das nicht!», fügte er hinzu, wobei er mit einem mitleiderregenden und verzweifelten Gesichtsausdruck seinen Zahn mit dem Daumennagel berührte.
    Lyonnette mochte grausam zu ihm sein, doch an einem Tag, als Seine Hoheit gähnte und über Einsamkeit klagte, betrachtete er immerfort ihr Porträt; die Miniatur zeigte ein überaus charmantes Lächeln, ein wie von der Liebe geformtes Gesicht mit etwas Anziehendem, Schelmischem, Frechem, das zugleich erstaunte und entzückte – so sehr, dass Karl von Este bald, der Belcredi überdrüssig, und weil er ohne Unterlass «Lyonnette», «Lyonnette» und nochmals «Lyonnette» hörte, begann, sich für diese ewigen Litaneien zu interessieren und auf sie einzugehen. Er brachte die Sache aufs Tapet und wünschte sogar insgeheim, dieses Wunder endlich zu sehen.
    Eines Nachmittags, da die Unterhaltungen im Gemach des Herzogs stockten, schlug Giovan vor, als handele es sich um einen spontanen Einfall, nach oben zu gehen und von der neuen Terrasse aus die Parade in Richtung des Bois anzusehen. Vor fünf Wochen hatte Seine Hoheit aus einer Laune heraus eine Galerie im Erdgeschoss überdachen lassen, wodurch drei oder vier kleine zusätzliche Salons entstanden waren sowie eine mit Blumen und kugelförmigen Orangenbäumen geschmückte Terrasse im italienischen Stil – von dort hatte man einen freien Blick über die Place de l’Arc-de-l’Étoile 126 . Man nahm also Lorgnetten mit und einen Klappstuhl für Giulia; und der Herzog, eigentlich wenig erpicht auf diese unbekannten Gesichter, vergnügte sich wie ein Schuljunge damit, Papierschnipsel in den ersten Garten hinunterzuwerfen, als der Italiener einen Schrei ausstieß und äußerste Überraschung heuchelte: «Das ist sie! Dort!», rief er aus. «Die Madonna del mio cor 127 », und er warf Kusshände hinunter, während Herr Felix grüßte.
    «Ist das Lyonnette?», fragte der Herzog, der nun geschwind an die Balustrade kam.
    Er fand sie hübsch und dabei noch erlesener und besonderer, als er sie sich

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