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Goetterdaemmerung - Roman

Goetterdaemmerung - Roman

Titel: Goetterdaemmerung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: El mir Bourges
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Blumensträuße abgenommen hatte, und als sie den Schlüssel im Schloss gedreht hatte, stieg sie die beiden Stufen zu der engen Kapelle hinab. Obwohl niemals Luft in den Raum drang, war keinerlei Geruch wahrzunehmen. Die schimmernden Gipsmauern strahlten schneeweiß; ein paar verwelkte Blumenkränze bedeckten die Marmorplatten, weitere hingen an Haken aus vergoldeter Bronze an den Wänden. Und keinerlei Gefühl regte sich an diesem sauberen und hellen Ort im Herzen der Unglücklichen: Hans Ulrich, so nah er ihr doch eigentlich war, schien weit fort, in gleichsam unendlicher Ferne. Christiane kniete nieder und wiederholte, über das Grab gebeugt, mehrmals: «Adieu … adieu … adieu …»
    Sie sah ihn wieder im Sarg vor sich, mit zerschmettertem und von Verbandszeug umwundenem Schädel. Da war er, lag tot da – «und es ist auch eine Tote, die nun mit dir spricht», dachte Christiane, «denn ich trenne mich von dieser Welt und werde mich an einem Ort der Ruhe niederlassen, der ebenso dunkel und verborgen ist wie deiner.» Sie schwieg. Ein Windstoß schüttelte die Bäume auf dem Friedhof, die Perlengirlanden eines benachbarten Grabes stießen aneinander und machten ein sonderbares Geräusch; dann ging plötzlich ein Platzregen nieder, der ganze Himmel löste sich in Wasser auf.
    «Oh!», dachte Christiane. «Wie kalt muss ihnen sein!» Und im selben Augenblick drückten ihr Tränen die Kehle zusammen, sie seufzte und schluchzte: «Ach Liebster, Liebster, mein über alles Geliebter …!» Sie warf sich auf den Boden und stammelte verzweifelt: «Ach! Ich liebe dich, ich liebe dich, Ulrich; nimm mich zu dir, breite die Arme aus, hole mich an deine Seite! Oh! Sprich mit mir … ich will dich hören … So höre mich doch, antworte mir, ach …! Ich flehe dich an … öffne die Augen …»
    Und wie sie da auf dem Stein lag, ganz außer sich und mit gelöstem Haar, flossen ihre Tränen wie der strömende Regen draußen, und ihre Schluchzer verschmolzen mit dem Gewitter; in ihrem rasenden Todeswunsch wollte sie sich den Kopf an einer Mauerkante einschlagen … Doch plötzlich fröstelte sie, als sie merkte, dass sie allein war, eingeschlossen, mit diesen beiden Toten als Nachbarn. Der Boden schwankte unter ihr, ihre Augen schlossen sich sanft, und die Unglückliche verlor das Bewusstsein …
    Der Regen hatte aufgehört, Christiane stand regungslos vor dem Grabmal. Ein mächtiges, unaufhörliches, von seltsamen Geräuschen und undeutlichem Räderquietschen durchzogenes Brausen stieg aus dem gewaltigen Paris auf, das sich vor ihren Augen ausbreitete. Einen Augenblick lang betrachtete sie den düsteren Totenacker, in dem ihr Bruder in seinem ewigen Schlaf ruhte, dann sagte sie noch einmal: «Adieu … adieu …»
    Christiane ging zum Ausgang, Louisa nannte dem Kutscher den Namen «Gare d’Orléans» 149 … Der Zug fuhr los und verschwand – und in dieser Welt sollte nie mehr von Christiane die Rede sein.
    Herzog Karl verließ gerade sein Bett, als er geruhte, sich des beiseitegelegten Briefs zu erinnern, und so erfuhr er die Neuigkeit … «Das ist also», sagte er bitter, «die Achtung und Liebe meiner Tochter …» Und sofort nachdem er um Milch geläutet hatte, zu jener Zeit sein einziges Getränk, setzte er sich mit Giulia Belcredi zum Schachspiel nieder, während Otto im Zimmer auf und ab ging. Vielleicht bereitete es ihm wirklich Vergnügen, vielleicht sollte es auch ein Zeichen von Seelengröße sein, jedenfalls ließ sich der alte Narr doch ausgerechnet an jenem Tag einfallen, den Verliebten zu spielen, indem er unter dem Tisch Giulias Knie drückte und sich gelegentlich zu ihr beugte, um mit rollenden Augen leise mit ihr zu sprechen. Giulia verging vor Angst, der junge Mann könne von einer seiner Launen heimgesucht werden, denn sie sah, dass er bald rot, bald blass wurde, dass Wut in ihm aufstieg und ihm die Augen aus dem Kopf traten. Glücklicherweise erhob sich Karl von Este nach einiger Zeit, ließ das Schachspiel wegräumen und schlug einen Spaziergang im Garten vor, da die Hitze unerträglich sei.
    «Trinkt doch etwas, wenn Euch so heiß ist», sagte Giulia.
    «Gleich», erwiderte der Herzog …
    Mit diesen Worten gingen sie hinaus. Man hat den merkwürdigen Vorfall, der nun folgte, nie ganz aufgeklärt, da er etwas Geheimnisvolles an sich hatte und gleichsam einem Roman zu entstammen schien, wenigstens in der Form, wie ihn der Italiener später schilderte, der sich der angeblichen Errettung Seiner Hoheit

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