Goetterdaemmerung - Roman
von Estes Vergiftung beschlossen und vorbereitet. Zunächst war ihnen die Idee als Traum, als unnützer Zeitvertreib erschienen, als ein Roman, den sie sich ausdachten und der sie mit seiner Aussicht auf ein zukünftiges vollkommenes Glück verlockte. Doch einige Tage später erwachten die beiden Liebenden, ohne zu wissen, wie ihnen geschah, gänzlich durchdrungen, gänzlich umfangen von ihrem Verbrechen. Giulia und Otto sprachen sich ab; alles wurde vorausgeplant und arrangiert. Sie hatten ein Gift gewählt, das tötete, ohne die geringste Spur zu hinterlassen: Der Tod würde zweifelsohne einem geplatzten Blutgefäß oder einem Herzschlag zugeschrieben werden. Im Übrigen würde Otto sogleich per Depesche Fürst Wilhelm um die Erlaubnis bitten, den Herzog im altehrwürdigen Braunschweiger Dom zu bestatten, wo die Welfen ihre Grabstätte haben. Und so wäre der Leichnam den gar zu neugierigen Ärzten entzogen, falls sich solche wider Erwarten einstellen sollten.
Doch verschiedene häusliche Vorfälle führten zunächst zu einer Verschiebung ihres Plans, dann kam eine weitere Verzögerung durch den Tod von Emilias Kind und dessen mit vielen Blumen und Kerzen einhergehendes Begräbnis. Zwei Leichenzüge, die kurz nacheinander aus dem Palais kämen, würden zu viel Aufmerksamkeit erwecken, wie ihnen schien. Unglücklicherweise brachte ihnen das Ende der Zeremonien auch den Italiener zurück, der – entweder aufgrund eines aufs Neue geschärften Blicks oder dank besonders günstiger Umstände – an jenem Tag bemerkte, wie Otto und Giulia ein wenig zu eng aneinandergedrückt durch die Tür getreten waren.
Manches Mienenspiel, so mancher Blick, bei denen Giovanni die beiden ertappt zu haben glaubte, hatten ihn schon stutzen lassen. Die Vertrautheit zwischen den Liebenden war doch weit deutlicher spürbar, als sie beabsichtigten: Sie war förmlich zu riechen.
«Hoppla!», dachte der Italiener. «Seien wir auf der Hut!»
Und seitdem gab es in dieser Angelegenheit keinen geduldigeren und aufmerksameren Spürhund als Giovan. Doch obwohl ihm das, was er sah, sehr zu denken gab, bedurfte es der Listen eines Mascarille 159 , um Beweise zu erhalten. Arcangeli klebte Haare an die Türen der Gemächer des Herzogssohns und der Sängerin, und am Morgen waren die Siegel erbrochen. Er streute feinen Sand im dunklen Flur aus, der zu Giulias Schlafzimmer führte, und die Schritte zeigten deutlich, woher der Galan gekommen war. Er platzte vor Ungeduld angesichts dieser Entdeckung, allerdings vermochte der Schelm nicht zu entscheiden, inwieweit er Seine Hoheit darüber in Kenntnis setzen solle. Karl von Estes blinde Voreingenommenheit für seinen Sohn und seine Geliebte sowie die Tatsache, dass er selbst beim Herzog in Ungnade gefallen war, ließen Giovan befürchten, etwas gesehen zu haben, was er keinesfalls hätte sehen dürfen – und wie sollte er handgreifliche Beweise für seine Unterstellungen erbringen?
Eines Nachmittags zwischen vier und fünf, als sich Arcangeli bei Emilia aufhielt, die sich zum ersten Mal von ihrem Wochenbett erhoben hatte, war der Italiener nicht wenig erstaunt, über seinem Kopf Schritte, und zwar recht schwere Schritte, zu hören. Diese Mansarde stand nämlich leer, und außer Ratten wohnte dort niemand. Er befragte Emilia, die antwortete, sie habe jenes Geräusch schon seit einigen Tagen gehört und es nicht weiter beachtet, da sie dachte, irgendein Diener laufe oben umher.
«Am Nachmittag?», fragte Giovan.
«Am Nachmittag», antwortete sie.
Nun pflegte Karl von Este, nachdem er den Aufmarsch seiner Pferde von der Terrasse aus verfolgt hatte, ein oder zwei Stunden auf seinem kleinen Tagesbett zu ruhen, sodass die Liebenden währenddessen völlige Freiheit genossen. «Wenn sie es sind, werde ich es erfahren», dachte Giovan. Er verließ seine Schwester, begab sich in das Kabinett, in dem auf Befehl Seiner Hoheit die vielen Pläne des Palais verwahrt wurden und studierte einen davon: Die Mansarde mit dem Ochsenauge 160 , die über der Wohnung Emilias lag, trug die Nummer vierzehn. Im Augenblick konnte er jedoch nichts weiter herausfinden, weil ihn sein Dienst zum Herzog rief.
Er blieb bis elf Uhr bei ihm und stieg dann höchst beunruhigt die enge Dienstbotentreppe zu seiner Unterkunft hinauf, als er plötzlich den Einfall hatte, das geheimnisvolle Zimmer zu besichtigen. Kurz danach steigt der Italiener ein Stockwerk höher, durchschreitet, die Kerzenflamme mit der Hand schützend, zwei oder drei
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