Götterdämmerung
irgendwo sei ein Blitz eingeschlagen und
zack!
sei einer der Verwandten nicht mehr da gewesen. Und einige von diesen Dreckskerlen hatten sich als ahnungslose Siedler verkleidet. Und als Mönche. Und als Hunnen. Den Deutschen war doch alles zuzutrauen, sogar das Erschlagen wehrloser Frauen und Kinder. Und Futterman? Auch ein Nazi, klar. Blond, groß, blauäugig, ehrgeizig und humorlos wie eine Backsteinmauer. Die Burschen mussten in sein Büro eingedrungen sein, als er und Cindy nicht da gewesen waren. Das war eine Erklärung, schließlich hatte er schon seit längerer Zeit nicht mehr nachgesehen, ob die Unterlagen noch an ihrem Platz waren. Das Ganze war ein von langer Hand vorbereitetes Manöver. Wahrscheinlich planten sie einen Angriff. Zuerst Österreich, dann die Tschechoslowakei, und jetzt die Staaten. Oder auch nicht. Cameron schnalzte anerkennend. Vielleicht handelte es sich nur um ein Ablenkungsmanöver. Vielleicht wollten sie unbemerkt ein kleineres Land einnehmen, während die USA mit sich selbst beschäftigt waren. Norwegen zum Beispiel. Oder Ungarn. Oder Polen.
Cameron wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. Dabei fiel sein Blick durch die geöffnete Tür zu seinem Privatzimmer auf das Bücherregal an der gegenüberliegenden Wand. Einige der sonst so akkurat aufgereihten Bücher standen schief. Cameron kniff die Augen zusammen und sah genauer hin. Jemand hatte sein signiertes Exemplar von «You Can’t Take It with You» geklaut. Jenes Theaterstücks von George S. Kaufman und Moss Hart, dessen Verfilmung durch Capra sich Cameron am Nachmittag eigentlich zum zweiten Mal hatte ansehen wollen – bevor ihm die Nazis dazwischengekommen waren.
Er rief nach Cindy.
«Ja, Mr. Cameron?»
«Haben Sie meinen Kaufman aus dem Regal genommen?»
«…?»
«Eines meiner Bücher, drüben, in meinem Privatzimmer.»
«Ich betrete Ihr Privatzimmer nicht, Sir», sagte Cindy pikiert.
Cameron nickte.
«Suchen Sie mir die Nummer von B. Dalton Pickwick heraus, Hollywood Boulevard. Und die von World Book and News in der Cahuenga.»
«Sofort.»
Cameron telefonierte mit den beiden Buchläden seines Vertrauens, bevor er auch noch im
Palace
anrief, das die Verfilmung zeigte.
Als er den Hörer knapp fünf Minuten später wieder auf die Gabel drückte, hatte er Sodbrennen. Die Bücher waren verschwunden, die Filmrollen ebenfalls. Und zwar nicht nur aus dem
Palace
. Louie, der Vorführer, hatte ihm vollkommen verstört mitgeteilt, auch im
Globe
und im
Orpheum
seien keine mehr vorhanden. Und das lag, wenn Cameron seine Informanten richtig verstanden hatte, daran, dass George S. Kaufman 1935 in New York ums Leben gekommen war. Beziehungsweise spurlos verschwunden. Und nie wieder aufgetaucht. Weshalb er das Theaterstück natürlich nicht geschrieben haben konnte. Hatte er aber. Cameron hatte es gelesen und die Verfilmung gesehen. Er hatte die Bilder doch im Kopf. Er wusste ganz genau, dass es das Stück gab. Und den Film.
Er wehrte sich nach Geisteskräften gegen die Schlüsse, die ihm Hirn und Herz nahelegten, aber es nützte nichts. Seine noch so junge Nazi-Theorie begann zu siechen und sich zügig in ihre Bestandteile aufzulösen.
Cameron stoppte den Prozess, indem er erneut zum Telefon griff. Er war mit seinem Latein am Ende und brauchte einen kühlen Kopf. Und da er den momentan nicht hatte, musste eben jemand anders damit dienen.
3
Sonnenwarme Holzstufen knarrten unter Dianas nackten Füßen, als sie ins Erdgeschoss hinuntertappte. Von draußen, aus üppigen Baumkronen, begrüßte ein knappes Dutzend heiter gestimmter Singvögel den gelungenen Sommermorgen und die junge Frau im Streifenpyjama auf ihrem Weg ins Wohn- und Arbeitschaos im Erdgeschoss des Hauses. Am Fuß der Treppe blieb Diana stehen, warf einen Blick zum Fernseher, durch dessen staubige Mattscheibe ein stummer Sprecher Schreckensmeldungen verlas, und sah sich nach Erasmus um. Er war nicht ins Bett gegangen, das hatte Diana gehört – beziehungsweise nicht gehört, denn keine Treppenstufe hatte Laut gegeben. Das Telefon des Salatbar-Service klingelte, und auf dem Bildschirm des BKA -Laptop blinkte es nervös vor sich hin.
Aber wo war Erasmus? Diana sah zum Schreibtisch, auf dem offenbar mehrere Bücherstapel kollabiert waren. Sie kniff die müden Augen noch etwas hartnäckiger zusammen, blieb vor dem abgestoßenen Eichentisch stehen und entfernte Buch um Buch, bis sie auf zottelige Haare stieß.
«Erasmus», flüsterte sie und drückte ihm
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