Götterfluch 1 - Der Geraubte Papyrus
dieser junge Schreiber Kel, dem wir kürzlich auf dem Festmahl des Ministers begegnet sind. Bei dem Gedanken daran läuft es mir jetzt noch kalt den Rücken hinunter! Dieser Wahnsinnige hätte ja auch alle Gäste dieser Einladung umbringen können. Ich hoffe nur, er mordet nicht weiter, ehe man ihn gefangen nehmen kann!«
»Glaubt man denn, dass es sich um die Tat eines Wahnsinnigen handelt?«
»Das weiß ich nicht und will es auch gar nicht wissen! Wir sollten uns von diesen abscheulichen Vorgängen fernhalten, meine liebe Nitis, und uns um unsere Pflichten kümmern. Schließlich gehören weder Ihr noch ich zu den Ordnungskräften. Aber da ist doch noch eine Frage, die mir auf den Lippen brennt: Wie habt Ihr von diesem schrecklichen Unglück erfahren?«
»Durch Gerüchte«, beruhigte sie ihn.
»Hört nicht darauf und verbreitet es vor allem nicht weiter! Udja verlangt von uns Stillschweigen, wir sollten ihm gehorchen. Im Übrigen – wenn Ihr einen schweren Fehler begeht, würde das nicht Eurer Zukunft schaden?«
»Ich danke Euch für Euren weisen Rat«, sagte Nitis nur.
Menk entspannte sich.
»Ihr seid nicht nur sehr schön, sondern auch ebenso klug. Wer weiß, wo sein Platz ist, und die Mächtigen nicht beleidigt, dem erweist sich das Schicksal als günstig. Und wir beide haben so viel Arbeit vor uns!«
»Es ist und bleibt unsere vornehmste Aufgabe, der Göttin zu dienen, so gut wir es können«, stimmte ihm die Oberpriesterin zu. »Dann bis morgen, zur nächsten Probe.«
»Henat nimmt mich nicht für voll«, beklagte sich der Große Schatzmeister beim Hohepriester Wahibra. »Er weigert sich, mir zu sagen, was er weiß. Und nachdem er mit dieser schrecklichen Angelegenheit betraut ist, handelt es sich dabei bestimmt nicht um die Tat eines Irren. Ich bin überzeugt, es geht um einen gefährlichen Angriff auf unser Land – mit unabsehbaren Folgen!«
»Sagtest du gerade ›Verschwörung‹?«
»Daran bin ich auf jeden Fall nicht beteiligt! Ich denke eher an die üblen Machenschaften persischer Spitzel, die den Auftrag haben, unsere Beziehungen zu den Nachbarstaaten zu zerstören, indem sie uns unserer Übersetzer berauben.«
»Mit anderen Worten: Kambyses hat vor, Ägypten zu überfallen«, mutmaßte der Oberpriester.
»Äußerst unwahrscheinlich«, meinte Pef. »Er denkt aber vermutlich schon daran, Palästina in seine Hand zu bekommen und dort Spitzel, Händler und Mitstreiter einzuschleusen. Ohne unsere Übersetzer werden wir eine Zeit lang nichts davon erfahren. Ich kann dir jedenfalls nur raten, dich aus dieser Sache herauszuhalten, mein Freund. Henat pflegt keine Witze zu machen.«
»Glaubst du etwa, er würde es wagen, sich am Oberpriester von Sais zu vergreifen?«
»Mittlerweile weiß man nicht mehr, wie vielen Leuten der Geheimdienst den Hals umgedreht hat! Außerdem darfst du nicht vergessen, dass Amasis mit Gewalt an die Herrschaft gekommen ist und dass er keine Einschränkung seiner Machtbefugnis dulden wird. Wir verdanken ihm zwar Frieden und Wohlstand, aber werden sie auch von Dauer sein?«
»Du scheinst mir ja ein rechter Schwarzseher zu sein, Pef!«
»Wenn Amasis das Übersetzeramt schnell wieder aufbaut und die Mörder angemessen für ihr Verbrechen bestraft werden, glaube ich an eine strahlende Zukunft.«
21
K el widmete sich mit großer Hingabe seiner neuen Aufgabe als Priester. Noch vor Tagesanbruch begab er sich zum heiligen See und füllte zwei Alabasterschalen mit Wasser, die er einem Ritualisten überreichte. Anschließend überprüfte er die Liste der frischen Ware, die für den Tempel bestimmt war, und verglich die Bestätigung der Lieferanten. Er verhielt sich unauffällig und unterschied sich in nichts von den anderen Schreibern, die im Dienst der Herrin über die Sängerinnen und Weberinnen standen.
Angesichts seiner letzten Stellung fiel es ihm nicht schwer, die notwendigen Arbeiten auszuführen: die Paletten reinigen, die Tintenfässchen auswaschen, Papyrus aufrollen. Weil Sauberkeit oberstes Gebot war, fegte er täglich den Raum, der den reinen Priestern vorbehalten war, und brachte die Lendenschurze zum Waschen.
Er war zwar mit diesem neuen Dasein vollends zufrieden, bekam aber immer wieder Angstanfälle, die ihn in die Wirklichkeit zurückholten: Schließlich war er nur ein Beschuldigter auf der Flucht, der vorübergehend Unterschlupf gefunden hatte! Vergessen die strahlende Zukunft, der Beruf, in dem er Erfolg haben wollte und die sichere Stellung eines guten
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