Götterfluch 1 - Der Geraubte Papyrus
machen.«
»Das wäre der reine Wahnsinn! Verfügst du, als Herr der Kriegsflotte, denn etwa nicht über ein sehr überzeugendes Abschreckungsmittel?«
»Ja doch«, gab Udja zu, »und ich baue sie Tag für Tag aus. Die Perser können uns unmöglich besiegen.«
»Und auf dem Landweg kommen sie auch nicht weiter!«, donnerte Phanes von Halikarnassos. »Ich schlage vor, dass wir unsere Stärke zur Schau stellen, Majestät. Diese Warnung sollte genügen, um mögliche Gelüste von Kambyses im Keim zu ersticken.«
»Bereite das zusammen mit Udja vor«, befahl Amasis. »Zuverlässige Bündnisse und ein gut ausgerüstetes Heer aus kampfgewohnten Söldnern – das ist meine Antwort auf die Eroberungsgelüste eines jungen Königs, der andere Knochen zum Abnagen finden wird. Außerdem dürfte es Krösus gelingen, ihn zu überzeugen, dass er den Frieden sichern muss, anstatt sich in ein verhängnisvolles Abenteuer zu stürzen.«
»Ja, aber die Ereignisse der letzten Tage …«, murmelte Henat.
Der Pharao wandte sich jetzt an Pef.
»Ich hatte es nicht für nötig gehalten, dich von der Ermordung der Übersetzer zu unterrichten – damit wollte ich dich aber nicht übergehen. Der Ernst der Lage erfordert jedoch heute, dass ich den gesamten Hohen Rat warne. Nirgends anders als hier im Palast wurde mir mein Helm gestohlen, das Zeichen meiner Macht, das ich von einem Volk erhielt, das sich gegen einen schlechten König erhoben hatte. Mit anderen Worten: Ein Thronräuber hat die Absicht, meinen Helm aufzusetzen und sich zum Pharao zu erklären.«
»Ihr seid damals der oberste Heerführer gewesen«, erinnerte Phanes von Halikarnassos, »das gesamte Heer hat Euch zum König gewählt, und es wird Euch auch treu bleiben, kein einziger hochrangiger Offizier wird es wagen, Euch die Stirn zu bieten. Und dem ersten Aufrührer schlage ich höchstpersönlich den Kopf ab – wegen Hochverrats.«
»Ich bin für eine ordentliche Verhandlung«, protestierte Gem.
»Vielleicht geht die Gefahr aber von einem einfachen Ägypter aus«, sagte Amasis. »Ich meine den jungen Schreiber Kel, der die Übersetzer getötet hat. Ich habe den Eindruck, dass dieses Unglück mit dem Raub meines Helms zusammenhängt – den wir übrigens so schnell wie möglich wiederfinden müssen, ohne viel Aufhebens darum zu machen.«
»Meine Leute kümmern sich bereits darum«, beeilte sich Henat zu sagen.
»Abgesehen von den Mitgliedern dieses Rats wurde nur der Hohepriester der Neith von diesem Vorfall unterrichtet«, sagte der Pharao. »Er wird schweigen, sich auf die allerwichtigsten rituellen Dienste beschränken und die Ermittlungen nicht stören.«
»Soll ich mich dieser Sache ebenfalls annehmen?«, fragte Richter Gem.
»Sämtliche Ratsmitglieder müssen mit aller Kraft daran arbeiten«, verlangte der König. »Wann nimmst du endlich diesen Kel gefangen?«
»Die Durchsuchung von Neiths Reich hat nichts ergeben, Majestät, und keiner wagt sich vorzustellen, der Hohepriester könnte mit einem Verbrecher gemeinsame Sache machen. Der Hinweis von unbekannt war nichts weiter als eine Verleumdung. Nachdem wir das nun wissen, bleibt uns nur noch, den Schuldigen festzunehmen und zum Reden zu bringen. Doch weder dieser Schreiber Kel noch sein Freund Demos scheinen mir in der Lage, Euch wirklich zu schaden. Sie sind nur zwei gehetzte Flüchtlinge. Die Unterstützung von Heer und Geheimdienst ist uns aber willkommen.«
»An die Arbeit«, befahl Amasis.
Udja wartete, bis die anderen Ratsmitglieder gegangen waren.
»Kann ich Euch unter vier Augen sprechen, Majestät?«
»Ich höre.«
»Euer Henat ist ein fähiger Mann, aber steckt er seine Nase nicht doch in zu viele Angelegenheiten?«
»Rätst du mir etwa, ihm zu misstrauen?«
»So weit will ich nicht gehen, aber …«
»Hast du klare Beweise für deine Vermutung?«
»Nein, es ist nur so ein Gefühl, und wahrscheinlich irre ich mich ja. In Anbetracht der ernsten Lage wollte ich Euch meine Bedenken aber mitteilen, ehe es womöglich zu spät ist. Ihr entscheidet, was geschieht.«
»Ich werde deine Warnung nicht vergessen, Siegelbewahrer.«
29
E in Kanal verband Sais mit der griechischen Stadt Naukratis, etwa zwanzig Kilometer westlich der Hauptstadt am Ostufer des kanopischen Nilarms gelegen. Amasis hatte beschlossen, den blühenden griechischen Handel in dieser Stadt zu konzentrieren. Naukratis – voller Leben und Treiben und mit Platz für Hellenen von überall her, war eine offene Stadt ohne
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