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Goettersterben

Titel: Goettersterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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seine Last an Abu Dun weiter.
»Wenn ich noch einmal dort hinuntertauche, dann verlange ich einen kompletten Tageslohn für Abu Dun und mich, solltest du feststellen, dass ich die Wahrheit gesagt habe.«
»Und nichts, wenn sich herausstellt, dass du lügst?« »Einverstanden«, sagte Andrej. Abu Dun zog überrascht die linke Augenbraue hoch, enthielt sich aber jeden Kommentars, und nach kurzem Nachdenken bekundete der Matrose mit einem Nicken seine Zustimmung.
»Und wenn ich dir einen Rat geben darf«, fügte Andrej hinzu, während er die Hand nach Abu Duns Last ausstreckte, »Dann sieh dir die anderen Kammern an, ganz egal wie viele es sind. Es sollte mich nicht wundern, wenn du dort auch den ein oder anderen Schaden findest, von dem du bisher glaubtest, er sei unmöglich.« Der Matrose sagte nichts dazu, doch es war ihm anzusehen, dass er nervös war. Er wandte sich mit einem bedeutsamen Blick und einem kurzen Nicken an seinen Begleiter, der dieses wortlos erwiderte, und ging. Andrej nahm Hanf und Werkzeug und ließ sich wieder ins Wasser sinken. Er hatte ein gutes Geschäft gemacht, auch wenn Abu Duns Blick ahnen ließ, dass er anderer Meinung war. Mit seiner Kraft und seiner Fähigkeit, die Luft ohne Probleme viele Minuten lang anhalten zu können, würde er diese lächerliche Reparatur binnen kürzester Zeit erledigen.
Doch er musste feststellen, dass er das Material, das der Matrose ihm gegeben hatte, noch so oft und fest in den vermeintlichen Axthieb stopfen konnte, das hereinströmende Wasser drückte es jedes Mal genauso schnell wieder heraus. Nachdem er das dritte Mal zum Luftholen aufgetaucht und wieder nach unten geschwommen war, begannen seine Finger vor Kälte taub zu werden, und ein sonderbares Kribbeln ergriff von all seinen Gliedern Besitz, das ihm beinahe angenehm gewesen wäre, hätte er nicht allzu gut gewusst, was es bedeutete. Das Wasser war eisig – obgleich es Sommer war, und Cádiz nicht am Polarkreis, sondern an der Küste Spaniens lag! – und dieser verdammte Riss schien sich all seinen Bemühungen, ihn zu verschließen, mutwillig zu widersetzen.
Dennoch kam er voran und der Wasserspiegel sank allmählich. Die Bilge war noch immer komplett geflutet, aber Abu Dun und der Matrose, die sein unermüdliches Tauchen beobachteten – der eine besorgt, der andere entsetzt –, standen nicht mehr bis zu den Knöcheln im Wasser, und die unermüdlich arbeitende Pumpe konnte nun allmählich Wirkung zeigen. Noch zwei oder drei Anläufe, dachte Andrej, und er konnte es zumindest ein bisschen ruhiger angehen lassen.
Ihr Arbeitgeber schien das etwas anders zu sehen. »Du solltest eine Pause einlegen«, sagte er. »Du warst bestimmt drei Minuten dort unten.«
Es waren mehr als fünf gewesen, wie ihm sein eigenes, untrügliches Zeitgefühl verriet, aber Andrej hütete sich, den Mann zu verbessern. Er tat so, als bemerkte er Abu Duns beschwörende Blicke nicht, nahm sich aber vor, von nun an in kürzeren Abständen zum Luftholen aufzutauchen. Der Mann war ohnehin schon misstrauisch genug.
Außerdem hatte er recht. Er war mit seinen Kräften tatsächlich fast am Ende.
Er holte noch einmal sehr tief Luft, ließ sich in das eisige Wasser gleiten und spürte sofort, noch bevor er mit Händen und Knien den Boden berührte, dass er nicht mehr allein war.
Etwas – jemand? – war hier unten, hinter ihm, und selbst Andrejs übermenschlich schnelle Reaktionen kamen zu spät. Er wirbelte herum, drehte sich wie ein Fisch im Wasser und zog die Knie an den Leib, um noch eine Winzigkeit schneller zu sein. Dennoch war er nicht schnell genug. Schmale, aber grausam starke Hände ergriffen ihn an Brust und Hemdkragen, drehten ihn nahezu mühelos um und tasteten nach seiner Kehle. Andrej packte instinktiv zu, bekam ein überraschend schlankes, beinahe schon zerbrechliches Handgelenk zu fassen und drückte zu. Knochen brachen.
Es war ein Fehler, doch das begriff er viel zu spät. Erschöpfung und vor allem das eiskalte Wasser hatten längst nicht nur seine Reaktionen, sondern auch sein Denken verlangsamt, und er verstand nicht schnell genug, dass der unsichtbare Angreifer ein gebrochenes Handgelenk gerne in Kauf nahm, um ihm im Gegenzug die steifen Finger der anderen Hand ins Zwerchfell zu rammen. Kostbare Atemluft wich in einem Vorhang silberner Luftblasen aus seinem Mund und blieb eine knappe Handbreit über seinem Kopf unter der Decke hängen. Im nächsten Moment riss sich der Angreifer los und war verschwunden …

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