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Goettersterben

Titel: Goettersterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Der Zugang wurde jetzt, in der Nacht, von gleich vier Männern bewacht, die ihre Aufgabe äußerst ernst nahmen und selbst Rodriguez und seinen Adjutanten aufs Genaueste kontrollierten, obwohl er ihnen zweifellos bekannt sein musste.
Es kostete Andrej trotzdem keine sonderliche Mühe, sich an ihnen vorbeizuschleichen, ohne gesehen zu werden, doch dann musste er den Abstand zu Rodriguez und seinen Begleitern drastisch verringern, um nicht den Anschluss zu verlieren. Die Männer gingen nicht zum Pier, den Abu Dun und er kannten, sondern steuerten einen wuchtigen, halb verfallenen Turm am anderen Ende des Hafens an. Schließlich erinnerte sich Andrej: Es war das Gebäude, in dem am Morgen die gefangenen Briten festgesetzt worden waren. Dass man nun auch Abu Dun dorthin brachte, erstaunte ihn nicht einmal sehr … aber Rodriguez?
Andrej musste zwei weitere Kontrollpunkte umgehen und drei Patrouillen ausweichen. Ein nagendes Gefühl sagte ihm, dass hier etwas Großes vor sich ging. Er wusste nicht, was, aber wenn er bedachte, wie lasch die Sicherheitsmaßnahmen bisher gehandhabt worden waren, dann musste es tatsächlich etwas von enormer Wichtigkeit sein. Möglicherweise hatte Rodriguez sich ja geirrt (oder ihn absichtlich falsch informiert), und das Auslaufen der Flotte stand unmittelbar bevor.
Das Gebäude, dass so offensichtlich Brestos Ziel war, lag nur noch einen Steinwurf vor ihnen. Er konnte kaum mehr als einen gedrungenen Schatten erkennen, vermutete aber trotzdem, dass es sich um die Reste einer ehemaligen Festungsanlage handelte.
Und das offen stehende Tor bewachten zwei Männer. Mindestens einer von ihnen war ein Vampyr.
Andrej erstarrte für einen halben Atemzug zur Salzsäule, wich dann hastig ein paar Schritte zurück und drückte sich in einen Schatten, bevor er mit angehaltenem Atem und geschlossenen Augen in die Welt des Unsichtbaren horchte. Hatte der Vampyr seine Nähe gespürt, so wie er umgekehrt die seine? Andrejs Herz klopfte so laut, dass er fürchtete, es müsse noch am anderen Ende des Hafens zu hören sein.
Nein. Andrej lauschte mit aller Konzentration nach dem Vampyr. Er wa r … mächtig. Grausam. Und sehr wach. Seine Sinne, die so scharf und aufmerksam waren wie die Andrejs, lauschten ebenso aufmerksam wie seine eigenen, aber er wirkte nicht alarmiert … was nichts anderes bedeutete, als dass er noch nichts von Andrejs Anwesenheit bemerkt hatte.
Dann spürte er noch eine andere Präsenz, nur ganz schwach, kaum wahrnehmbar und weiter verblassend: Abu Dun. Der andere Vampyr musste seine wahre Natur erkannt haben und konzentrierte sich noch immer ganz auf ihn. Doch sobald Abu Dun ganz aus seiner Nähe verschwunden war, würde sich das ändern.
Andrej vergeudete eine weitere kostbare Sekunde damit, sich den Kopf über die Lösung eines Problems zu zerbrechen, das er in der Kürze der Zeit nicht lösen konnte, fuhr dann herum und tat das einzig Vernünftige: Er entfernte sich so weit von der Festung und ihrem gespenstischen Bewacher, bis dessen Präsenz nicht mehr zu spüren war; und auch noch ein gutes Stück weiter, nur für den Fall, dass die Sinne des anderen schärfer waren als seine eigenen. Erst nachdem er vollkommen sicher war, dass nicht einmal mehr Loki selbst seine Anwesenheit spüren würde (als ob er nicht längst wusste, dass er da war!), blieb er wieder stehen und knurrte einen Fluch.
Er war zornig – auf sich und seine Dummheit, diese Möglichkeit nicht vorhergesehen zu haben, auf Abu Dun, dessen kindische Abenteuerlust ihnen diese Situation eingebrockt hatte, und das Schicksal im Allgemeinen, das sich diesen perfiden Scherz mit ihm erlaubte. Einen Moment lang überlegte er ernsthaft, kehrtzumachen und sich gewaltsam Zugang zur Festung zu verschaffen und Abu Dun zu befreien – zu zweit standen ihre Chancen vielleicht nicht einmal so schlecht, Loki zu besiegen. Schließlich war es ihnen schon einmal gelungen, und dieses Mal verfügte er über eine Waffe, von deren wahrer Stärke der gefallene Gott vermutlich keine Ahnung hatte: ihrem Hass. Stattdessen aber schlug er mit der Faust so hart gegen die nächstbeste Wand, wie er konnte. Trotz seiner enormen Kraft widerstand das Gebäude, zu dem die Wand gehörte, seinem Schlag, während seine Knöchel augenblicklich aufplatzten und heftig zu bluten begannen. Vielleicht brach er sich auch einen oder zwei Finger. Der grelle Schmerz half ihm jedenfalls, wieder zur Vernunft zu kommen.
Was war nur mit ihm los? Er begann Fehler zu machen.

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