Göttersturz, Band 1: Das Efeumädchen (German Edition)
musste er ausgerechnet jetzt an die Worte dieses Naivlings Hilgur Heldentod denken?
Basterro zog die weinende und nach ihm schlagende Jalina die Treppenstufen zu Orchon hinauf.
Gleich würde es vorbei sein. Corellius wandte den Blick ab. Spielte sogar mit dem Gedanken, sich die Ohren zuzuhalten. Erwartete jeden Moment Jalinas Todesschrei.
Doch er blieb aus.
Stattdessen erklang das Trippeln von Basterros kurzen Schritten. Ergriffen weinend gesellte sich der Zeremonienmeister wieder zu ihnen. »Er ist prachtvoll«, schwärmte er. »Wahrhaftig ein Gott!«
»Was hat er gesagt?«, fragt einer der Wächter.
»Das Efeumädchen genügt seinen Ansprüchen, nur über ihren desolaten Zustand hat er sich etwas beklagt.«
Zähneknirschend hielt Corellius eine scharfe Erwiderung zurück. Ihm gefiel es nicht, wie hier über Jalina gesprochen wurde – wie über ein Stück Vieh.
»Wann tötet er sie?«, hakte er nach. »Warum hat er es nicht schon längst getan?«
»Er tötet sie nicht sofort, wie ich aus den Aufzeichnungen der vorherigen Zeremonienmeister weiß.« Basterro zwirbelte eine seiner Bartsträhnen auf. Vom vielen Reden war seine Stimme rau. »Das ist nur eine Lüge, die wir den Efeumädchen erzählen. Ein schneller Tod wirkt erträglicher als das, was Orchon wirklich mit ihnen macht.«
Corellius' Herz zog sich zusammen. Etwas pochte heiß in seinen Eingeweiden. Konnte etwas noch schlimmer sein als der Tod? Er wusste von schwer Verwundeten, die nicht länger ihre Qualen erdulden konnten und sich wünschten, dass man ihnen die Kehle durchschnitt. Aber was konnte Orchon so Furchtbares tun? Unterzog er seine Opfer einer Folterprozedur? Wenn ja, aus welchem Grund?
Im hinteren Teil der Halle öffnete sich quietschend eine Stahltür. Jalinas letzter Schrei verklang abrupt, als sie wieder zufiel.
»Sagt schon«, drängte Corellius den Zeremonienmeister. »Was tut er mit ihr?«
»Wie sollte ich das wissen, Söldner? Vielleicht bleibt sie nur noch für Tage am Leben, vielleicht aber auch für Jahre oder Jahrzehnte.«
»Und danach?«
Basterros Pupillen glitten auf die Spalte vor dem Podest, aus der der Wind der Tiefe heulte.
»Verstehe«, brummte Corellius und presste die Lippen aufeinander. Die Leichen wie vieler Efeumädchen lagen wohl schon zertrümmert auf dem Grund des Trichters?
»Komm schon, gehen wir!« Ulme klopfte ihm auf die Schulter. Die Sanftheit und Ruhe in seiner Stimme schien aus einer anderen Welt zu stammen. »Wir habens so gut wie geschafft. Schade, dass wir keinen Wein dabei haben, um das zu begießen.«
Er und die anderen wandten sich zum Gehen, erleichterte Seufzer ausstoßend und nervös über die Gefahren des Rückwegs flüsternd.
Corellius blieb stehen, den Blick starr auf das Podest gerichtet.
Das hier war nicht richtig. Auf so viele Arten und Weisen.
Jalina war nicht nur in ihr Verderben geführt, sondern auch belogen worden. Ihr stand ein Leben – wenn man ihre Existenz denn noch so nennen wollte – voller Qual und Ungewissheit bevor.
Sie wird nie mehr Tageslicht sehen , kam es ihm in den Sinn. Etwas an diesem Gedanken warf ein Netz aus eiskaltem Seil um sein Herz. Seine Augen brannten mit einem Mal. Er blinzelte und eine einzelne Träne lief über seine Wange bis auf seine Lippe. Zitternd leckte er die salzige Flüssigkeit auf. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal geweint hatte.
Alle Fragen schienen geklärt. Alle Zweifel vergessen.
Sein Körper handelte, ohne die Befehle seines Geistes abzuwarten. Die Finger spannten sich um das Heft seines Breitschwerts, zogen es aus der Scheide. Seine Beine bewegten ihn vorwärts, erst mit verhaltenen, dann mit immer größeren Schritten.
»Adanor, wo wollt Ihr hin?«, brüllte hinter ihm Basterro. »Was soll das werden?«
»Ich suche unseren Gott auf. Um das Richtige zu tun«, sagte er, alle Muskeln angespannt. Macht mich das jetzt zu einem Helden?
»Das dürft Ihr nicht! Beim Weltendroher, was ist in Euch gefahren!?« Basterros Worte gingen zunächst in einem Husten unter. »Männer«, röhrte er, »ergreift ihn!«
»Corellius, was machste denn da?«, rief auch Ulme verständnislos. »Du wirst uns noch alle umbringen!«
»Das werde ich tatsächlich, wenn sich mir einer von euch zu nahe kommt!« Nur noch ein paar Schritte bis zum Steg über den Abgrund. Er wollte ihn erreichen, so lange er sich seiner Sache noch so sicher war. Wir haben unsere Seiten gewählt, Ulme , sagte er in Gedanken zu ihm. Das Wesen eines Helden
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