Göttersturz, Band 2: Der Galgenaufstand (German Edition)
ließen die brennenden Gärten hinter sich und lehnten sich gegen einen gusseisernen Zaun. Rowen legte den Kopf in den Nacken. Die Dachstühle der anliegenden Stadtvillen gingen in Flammen auf. Schreie und Kampfeslärm hallten zu ihnen herüber wie die düstere Hymne einer neuen Ära. So viel Rauch stieg empor und breitete sich über die Stadt, dass es aussah, als herrschte tiefste Nacht.
»Weißt du, warum ich in Salus' Dienste getreten bin?«, fragte Jolla auf einmal.
»Wegen der Bezahlung, nehme ich an?«
Der pockennarbige Kerl schüttelte den Kopf, lachte aber. Dann wurde er ernst.
»Was ich dir jetzt erzähle, geht da rein«, er zog an Rowens Ohrläppchen, »aber nie mehr hier raus«, er presste ihm den Finger auf die Lippen, »sonst hänge ich dich an deinem verdammten Galgenstrick auf, hast du verstanden?«
Rowen nickte, verwirrt an seiner Unterlippe nagend. Was wollte Jolla ihm jetzt plötzlich unbedingt offenbaren?
»Während ich dir das erzähle, kann ich dir auch gut den Fuß abbinden.« Jolla riss Stoff von seiner vom Dreck braun gefärbten Tunika ab und ging vor Rowen in die Knie. »Weißt du, als ich noch ganz jung war – etwa so alt wie deine Schwestern jetzt – habe ich mit einem Jungen draußen vor den Toren Sichelstadts gespielt. Wir entdeckten eine Grotte, ganz in der Nähe des Bleiernen Flusses, in die wir uns neugierig hineinwagten.«
Mit gekonnten Handgriffen schlang Jolla den Stofffetzen fest um Rowens Fuß. Warum begann er mit so einer harmlosen Kindergeschichte? Seine gespannte Erwartung ließ für Rowen sogar den Schmerz zu einem fernen Rauschen verkommen.
»Wir rutschten beide aus und stürzten in eine tiefe Grube. Von allein konnten wir uns nicht aus ihr befreien, dafür waren die Wände zu steil und glitschig. Also harrten wir aus und riefen wieder und wieder um Hilfe.«
Jetzt wurde es interessant. Rowen lehnte sich vor.
»Nach drei Tagen befreite uns endlich ein Schlammfischer. Aber in dieser Zeit ist dort unten etwas geschehen. Wir beide gaben uns in der Finsternis und Nässe Halt, haben uns umarmt, getröstet. Loreus, so war sein Name. Als ich die Höhle verließ, war ich nicht mehr derselbe.«
Rowen klappte die Kinnlade herunter. Sollte das etwa heißen …? Er wusste nicht, ob er lachen oder schlicht stumm dasitzen sollte. Wahrscheinlich war die letztere Möglichkeit die bessere Wahl. »Du bist …«
Unwirsch würgte Jolla ihn ab: »Gemeinsam mit Loreus habe ich meinen Legionsdienst abgeleistet, unten auf den Perleninseln. Wir haben uns immer wieder heimlich in unserer Baracke getroffen, ich meine, wir konnten es nicht lassen, obwohl wir doch wussten …«
Der sonst so gelassene Jolla, der so vom Leben abgestumpft wirkte, verhaspelte sich und sackte wieder neben Rowen an den Zaun.
»Unser Centurion hat uns erwischt. In einem Moment, in dem es nicht als Missverständnis durchgehen konnte. Ihn, Loreus, meinen Freund aus der Höhle, haben sie auf den Scheiterhaufen geworfen. Aber ich konnte knapp entkommen.«
»Bei Orchon … ich meine, bei meiner Seele!«, entfuhr es Rowen, dessen Kinnlade immer noch wie ein Bleigewicht herunterhing. »Wie lange ist das jetzt her?«
Jolla ließ den Kopf hängen, als hätten sämtliche Nackenmuskeln den Dienst versagt. »Achtzehn Jahre.«
»Es tut mir leid«, sagte Rowen und meinte es ernst. Die ganzen Nicklichkeiten und der raue Umgangston waren wettgemacht. Einen Menschen zu verstehen, hieß auch, ihm zu vergeben.
»Laut Orchon ist es eine der fünf Schandtaten des Feuers, wenn ein Mann bei einem Mann oder eine Frau bei einer Frau liegt,« sagte Jolla.
»Deshalb bist du also hier.«
»Ja, deshalb bin ich bei Salus. Deshalb bin ich überhaupt noch am Leben. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie ich mich gefühlt habe, als ich hörte, dass dieser Corellius Orchon angeblich gestürzt hat.« Sein Blick glitt empor zu den Dächern der Stadt, die anstatt Schindeln nun Flammenzungen bedeckten. »Ich hasse Feuer.«
»Trotzdem müssen wir da jetzt irgendwie durch«, sagte Rowen und versuchte, sich am Zaun hoch zu ziehen.
Jolla packte ihn unter den Schultern und setzte ihn mühelos auf. »Du bist so unvernünftig, wie du dürr bist. Lass mich dir doch helfen.«
»Ich komme mit zum Onyxpalast«, sagte Rowen. »Gut möglich, dass Salus einen Medicus dabeihat. Die Stadtwache und die Konzilslegion werden das Regierungsviertel nicht kampflos aufgegeben haben.«
Jolla hob eine seiner buschigen Augenbrauen an. »Du willst wirklich ins Auge
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