Göttertrank
hatte auf seine unnachahmliche Art herausgefunden, dass Jan Martin und Alexander inzwischen befreundet waren. Seine Rachsucht schien ungebrochen, und seine Schnüffelnase hatte mit untrüglicher Intuition genau das herausgefunden, was er so unauffällig wie möglich handzuhaben gedacht hatte.
Laura war eine kultivierte, aber einsame und von ihrem Mann vernachlässigte Frau, und ihre Verabredungen fanden stets unter genauester Beachtung größter Diskretion statt. Einmal im Monat trafen sie sich zu zwei, drei Nächten in einer verschwiegenen Pension am Rhein, Tage, an denen Laura angeblich eine kranke Freundin besuchte. Heiße Liebe war es nicht, was er für sie empfand, aber Zärtlichkeit und Freundschaft. Sie war keine sehr leidenschaftliche Frau, aber sie brauchte Zuwendung und war gerne bereit, einige Stunden stiller Lust mit ihm zu verbringen. Das Arrangement bewährte sich für beide Seiten und sollte nicht gestört werden.
Andererseits hätte er gerne mehr Einfluss auf Julias Entwicklung gehabt, und dieser unlösbare Zwiespalt verschlechterte seine Laune gerade an diesem sonnengoldenen Oktobermorgen erheblich. Ausgerechnet heute hatte sich Jan Martin angekündigt. Zusammen mit dem Mädchen aus der Zuckerfabrik. Vor lauter Missmut vergaß er, dass er sich lange Zeit an ihren launigen Briefen und heiteren Schilderungen aus dem Café Nadina erfreut hatte. Im Augenblick sah er nur eine weitere Belastung auf sich zukommen. Er hatte ihr einmal geholfen, und nun rannte sie ihm jahrelang hinterher, damit er sie aus der nächsten Klemme zog. Von Jan hatte er inzwischen erfahren, dass sie ihm sogar bis nach Elberfeld hinterhergelaufen war. Inzwischen hatte sie einen alten Apotheker geheiratet und war vermutlich auf der Suche nach einem Ausweg aus diesem Desaster.
Er konnte Jan die Bitte, sich mit ihr zu treffen, zwar nicht abschlagen, beschloss aber, sich äußerst kühl zu geben und keinerlei Hoffnungen zu wecken.
Ich wachte mit Leibschmerzen auf, biss aber die Zähne zusammen. Noch einmal wollte ich die Ausfahrt mit Jan Martin nach Bayenthal nicht absagen. Was war schon ein bisschen Zwicken gegen die Möglichkeit, Alexander Masters wiederzusehen. Auch wenn dem Kind, das ich erwartete, möglicherweise die Kutschfahrt nicht gefallen würde.
Erst seit ich von den Röteln genesen war, hatte ich herausgefunden, dass ich schwanger war. Antons Anstrengungen hatten wahrhaftig Früchte getragen. Aber bislang hielt ich diesen Zustand noch geheim. Die Aufregungen, die die Ankündigung eines Nachkömmlings in der Familie verursachen würden, wollte ich mir im Augenblick noch ersparen. Und vor allem wollte ich mir nicht Schlaginhaufns Aufmerksamkeit zuziehen. Also stand ich entschlossen auf und machte sorgfältig Toilette. Margarethe und Hermine wollten uns tatsächlich begleiten, ein Grund mehr, um jeden Preis Haltung zu wahren.
Jan war pünktlich. Er hatte einen Landauer gemietet, und in der milden Herbstluft verflog beinahe mein Unwohlsein. Wir rollten gemächlich am Rhein entlang. Auf dem breiten Strom glitzerte das Licht in Myriaden kleiner Wellen. Ein Dampfschiff tuckerte uns entgegen, eine dunkle Rauchfahne hinter sich herziehend, und weit schwang die fliegende Brücke an ihrer Kette zwischen den beiden Ufern. Eine fröhliche Studentengesellschaft mühte sich lachend und rufend in Ruderbooten flussauf ab, ein mit großen Quadersteinen beladener Nachen schwamm Richtung Dom, wo seine Last zum Ausbessern morschen Gemäuers benötigt wurde. Auf der anderen Rheinseite wurde ein Schleppzug mühsam von starken Pferden den Treidelpfad hochgezogen, und ein schnelles Segelschiff glitt mit schäumendem Bug vorbei. Ich war bisher viel zu selten am Fluss gewesen und genoss die heitere Stimmung, ohne mich um das Gegacker und Gekreische meiner Begleiterinnen zu kümmern. Jan Martin beteiligte sich kaum an der Unterhaltung und respektierte mein Schweigen.
Bayenthal war eine winzige Ansiedlung zwischen goldgelben Stoppelfeldern und grünen Weiden, deren markantestes Gebäude neben der Kirche die Werkzeugfabrik war. Jan hieß den Kutscher vor einem hübschen Landhäuschen halten und nickte mir zu.
»Hier haust unser Ingenieur, ländlich-sittlich, doch nicht ohne Komfort. Er hat mir versprochen, uns in seinem Garten eine Erfrischung anzubieten. Darf ich den Damen beim Aussteigen behilflich sein?«
Margarethe nahm selbstverständlich das Recht der Älteren in Anspruch und reichte ihm als Erste die Hand, Hermine folgte. Als ich
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