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Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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du erst in zwei Tagen nach Hause kommst, Amara. Eine holperige Kutschfahrt halte ich im Moment nicht für besonders ratsam. Und Alexander hat nichts dagegen, wenn du bleibst.«
    Also zog ich den von Gisa geliehenen Kittel an und legte mir meinen Schal um die Schultern – kein sehr ansprechendes Arrangement, aber meine Röcke flatterten auf der Leine im Wind – und setzte mich auf die Bank an der sonnenbeschienenen Wand des Häuschens. Hannes wurzelte in den Beeten herum, und als er mich sah, brachte er eine Faust voll blauer Herbstastern zu mir. Was er kauderwelschte, verstand ich nicht, aber seine Geste war eindeutig. Er strich mir vorsichtig über den Bauch, und ich versicherte ihm, nun sei wieder alles gut. Eine Weile döste ich in der Mittagssonne vor mich hin, beobachtete die letzten eifrigen Wespen, die sich an den herabgefallenen Äpfeln sättigten, sah den Scharen von Krähen zu, die über den Stoppelfeldern kreisten, und lauschte dem Tschilpen der Spatzen, die sich um die roten Beeren der Ebereschen zankten. Seltsam zufrieden schloss ich die Augen.
    »Ich habe mich gestern sehr garstig benommen«, sagte Alexander neben mir. »Darf ich mich zu dir setzen? Ich habe einen Imbiss für uns mitgebracht.«
    Er stand mit einem Korb in der Hand neben der Bank, sein Gesicht im Schatten. Die weiße Strähne aber in seinem Haar leuchtete hell im Sonnenlicht auf.
    »Sie waren nicht garstig, und Sie haben völlig recht. Ich verursache Ihnen nichts als Ärger.«
    Er ließ sich an meiner Seite nieder und stellte den Korb zwischen uns auf die Bank.
    »Natürlich. Ich bin mir sicher, du hast es genau geplant, dass dich das Unglück auf meiner Schwelle traf. Nein, Amara, ich muss mich entschuldigen. Es ist schlimm genug, dass sich die Ereignisse auf so grausame Weise wiederholen.«
    Erst wusste ich nicht recht, was er meinte, aber dann fiel mir ein, dass meine Mutter ebenfalls eine Fehlgeburt erlitten hatte, als wir uns das erste Mal begegnet waren. Er nahm plötzlich meine Hand und sagte mit seltsam rauer Stimme: »Ich hatte Angst um dich.«
    »Oh!« war alles, was mir dazu einfiel. Und dann sah ich ihm ins Gesicht. Er war älter geworden. Fast zehn Jahre war es her, seit wir uns getroffen hatten, und aus dem Jüngling von damals war ein Mann mit ausgeprägten Zügen geworden. Ansehnlich, energisch, zielstrebig – und auf ansprechende Weise nachdenklich. Vielleicht aber auch unglücklich. Und seltsam vertraut.
    »Alexander Masters – ist das wirklich Ihr Name?« Ich konnte nicht anders, ich musste nachfragen.
    »Wieso? Zweifelst du daran?«
    »Wenn man täglich viele Gäste bedient, kommt man nicht umhin, in Gesichtern zu lesen, Ähnlichkeiten zu entdecken und – manchmal peinliche – Verwandtschaften zu erkennen. Das will ich Ihnen auf keinen Fall unterstellen. Aber Sie sehen einem guten Freund sehr ähnlich. Sagt Ihnen der Name Julius von Massow irgendetwas?«
    Alexander sah aus, als hätte ich ihm unerwartet den Ellenbogen in den Magen gerammt.
    »Du kennst Julius?«
    »Er war oft zu Gast in unserem Café. Ihr Bruder, nicht wahr? Er und seine Eltern glauben, Sie seien tot. Aber … Verzeihen Sie, Sie werden, genau wie ich, Gründe haben, unter anderem Namen zu leben.«
    »Großer Gott, Amara.« Er fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare und seufzte dann. »Ich schulde dir eine Erklärung. Aber erst einmal trinken wir einen Schluck von diesem dunklen Wein. Ärztliche Anordnung von Doktor Jan.«
    Während ich von Gisas Hasenpastete naschte, erzählte Alexander mir von Plancenoit und seinen Folgen. Es war eine geradezu unwahrscheinliche Geschichte. Aber auch ich konnte ihn verblüffen.
    »Tja, Herr Masters...«
    »Nur Alexander, Amara. Wir beide haben die Welt ausgiebig genug von unten erlebt, da braucht es keine Förmlichkeiten mehr zwischen uns.«
    »Es ist nicht ganz korrekt, aber in Anbetracht der Umstände … Als ihr 1815 das Gut verlassen habt, war ich knapp zwei Jahre alt. Erinnerst du dich an die Zuckerbäckerin Birte?«
    »Natürlich. Meine Mutter hatte sie von einem Besuch bei irgendwem …«
    »Freiherr von Briesnitz.«
    »Möglich. Von dort mitgebracht, und Julius und ich waren von ihren Kuchen hellauf begeistert. Was weißt du... Allmächtiger! Birte, deine Mutter. Das Püppchen in der Küche. Amara, natürlich. Und ich habe Birte nicht erkannt, damals in der Zuckerfabrik. Gott...«
    »Es waren viele Jahre vergangen, du warst noch ein Kind, als du Evasruh verlassen hast. Mach dir keine Vorwürfe,

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