Göttertrank
sprang sofort darauf an.
»Wunderbar, wunderbar, liebste Frau Doktor. Es geht doch nichts über ein ordentliches Stück Pferdefleisch.«
»Pferdefleisch?«, keuchte Jan Martin neben mir leise.
»Leider ja«, murmelte ich. »Nehmen Sie von den Klößen und Rotkraut und behaupten Sie, Sie zögen fleischlose Kost vor.«
Er tat es, und schob, trotz Hermines beständigen Nötigens, nur die Beilagen auf dem Teller hin und her. Dafür berichtete er von den Schwierigkeiten, die die Ansiedlung von Kakaopflanzen in den hiesigen Breiten darstellten.
»Aber jetzt habe ich gute Hoffnung, ein paar junge Bäume unbeschädigt über den Atlantik zu bekommen. Ein guter Freund«, sein Fuß stupste wieder an den meinen, und ich wunderte mich etwas, war ihm aber dankbar, als er fortfuhr, »ein begabter Ingenieur in Bayenthal, hat mir ein Transportbehältnis gebaut, in dem das warme Klima, das der Baum so liebt, hoffentlich aufrechterhalten werden kann. Alexander Masters ist ein mitdenkender Mann.«
Hier war er also angekommen. Ich schob ebenfalls mein Rotkraut ohne Appetit über das säuerliche Fleisch, das ich genauso wenig schätzte wie unser Gast. Dem Gespräch schenkte ich nicht mehr sehr viel Aufmerksamkeit und bekam auch nur mit einem halben Ohr mit, wie sich Schlaginhaufn, den der Kakaobaum nicht interessierte, darüber beklagte, dass unter den Kindern in Köln die Röteln ausgebrochen seien, und er Anton bat, genügend Arzneien dagegen bereitzuhalten.
Jan Martin wandte sich wieder an mich und fragte höflich und mit einem betonten Nicken in Richtung Hermine, ob ich und meine reizende Stieftochter wohl Lust hätten, ihn in den nächsten Tagen zu einem Ausflug an den Rhein zu begleiten.
»Gerne, Herr Doktor Jantzen. Und vielleicht möchte auch meine Schwägerin Margarethe uns begleiten. Sie ist zwar in Trauer, doch würde ihr gewiss eine ruhige Fahrt an frischer Luft guttun, nicht wahr, Anton?« Ich kreuzte Zeige- und Mittelfinger unter dem Tischtuch.
Wir verabredeten uns für Donnerstag in zwei Wochen, wenn Jan Martin wieder in Köln zu tun haben sollte, und ich ahnte, dass Alexander ihn begleiten würde.
Doch leider musste ich die Ausfahrt absagen – ich lag an dem besagten Tag mit Röteln im Bett.
Anrecht auf den Sohn und Erben
Schlaf, süßer Knabe, süß und mild,
Du deines Vaters Ebenbild!
Das bist du; zwar dein Vater spricht,
Du habest seine Nase nicht.
Die Mutter bei der Wiege, Claudius
Mit entnervtem Blick steckte Dorothea das Laken in der Wiege fest, in der ihr vier Wochen alter Sohn plärrte. Was für ein hässlicher Zwerg er war mit seinem vor Wut verzerrten Gesicht. Wie ein verschrumpelter kleiner Affe sah er aus. Die dunklen Haare hatten ihm weder sie noch ihr Gatte Richard vermacht. Aber das interessierte wohl niemanden.
Gerade hatte sie die Pfarrersfrau verabschiedet, die ihr zur Geburt ihres Kindes gratulieren wollte. Das Gesäusel über das süße Knäblein hatte Dotty stoisch ertragen, den Hinweis, er sei seinem lieben Vater ganz wie aus dem Gesicht geschnitten, kommentarlos übergangen, und erst als die einfältige Dame ihr sacht die Hand tätschelte und dabei schelmisch flötete: »Sehen Sie, liebste Frau von Finckenstein, so hat sich doch alles zum Guten gewendet. Gar so schlimm ist die Ehe doch nicht, oder?«, war sie versucht, ihr den faltigen Hals umzudrehen.
Nach anderthalb Jahren Ehe hatte Dorothea endlich einen gangbaren Weg gefunden, mit den Demütigungen fertig zu werden, die ihr Gatte, sein Kammerdiener und dann und wann auch ein paar Saufkumpane ihr zufügten. Sie flüchtete sich in ihre Tagträume, die, angeregt von Tante Laurenz’ schwülstigen Romanen, ihr die Möglichkeit boten, die Gegenwart so weit wie möglich zu ihren Gunsten zu verändern. Da sie inzwischen wusste, welche Dienste ihr Mann von ihr verlangte und seine Phantasie in Erfindung neuer Perversitäten zum Glück begrenzt war, baute sie seine Besuche in das dramatische Geschehen wilder Romanzen ein, in der sie Opfer wüster Piraten oder Freischärler wurde, geschändet, gefoltert und – gerettet durch den Prinz ihrer Träume. Seltsamerweise gelang es ihr so, dann und wann sogar einen gewissen Gefallen an den Scheußlichkeiten zu finden, zu denen sie gezwungen wurde.
Die Pfarrersfrau, dachte sie mit Ingrimm, würde vermutlich in Ohnmacht sinken, wenn sie die Wahrheit erführe. Oder den Glauben verlieren.
Einen Moment lang war sie versucht, der betulichen Glucke eine kleine Kostprobe aus ihrem traulichen
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