Göttertrank
Chor wurde leiser, schwebend hingen die letzten Töne im Raum, und die Worte »Alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt« verhallten.
Dann schwiegen Instrumente und Stimmen. Alexander, trunken von Glück, legte die Hand auf die Schulter der Frau, der seine ganze Liebe gehörte, und umfasste mit der anderen Hand die zitternden Finger seiner Tochter.
Für einen Bruchteil der Ewigkeit herrschte atemlose Stille im Saal.
Dann brach mit Urgewalt der überwältigende Jubel der großen Hymne aus.
»Seid umschlungen, Millionen! Diesen Kuss der ganzen Welt...«
Das von Franz Liszt initiierte erste Beethovenfest in Bonn war ein denkwürdiges Ereignis. Für die musikalischen Veranstaltungen hatte man eigens einen neuen Saalbau im Franziskanergarten errichtet, auf dem Münsterplatz sollte am übernächsten Tag das Denkmal des berühmten Sohnes der Stadt enthüllt werden, und unzählige Gäste aus aller Welt hatten sich in der beschaulichen Kleinstadt versammelt, um seinem grandiosen Werk zu huldigen. Darunter tatsächlich auch die Königin von England, Victoria, mit ihrem Gatten, Prinz Albert, mit dem sie sechs Jahre zuvor beim Afternoon Tea im Schaumburger Hof einen Flirt begonnen hatte. Und natürlich König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen. Aber auch Humboldt und der französische Musiker Berlioz und die skandalumwitterte Tänzerin Lola Montez hatten sich eingefunden.
Die letzten Töne der neunten Symphonie des Meisters verklangen, und nach der ergriffenen Stille rauschte der Applaus auf. Alexander strich Amara mit dem Zeigefinger über die feuchten Wangen, und sie drehte sich, noch immer klatschend, zu ihm um.
»Ergreifend.«
»Ja, unvergesslich. Ein Meisterwerk ohnegleichen. Aber dennoch wollen wir nun die Veranstaltung verlassen, meine Lieben.«
Er winkte Lothar zu, und als sie zum Ausgang strebten, schlossen sich ihnen auch Melisande und Maximilian an. Jan Martin nickte ihnen grüßend zu, blieb aber bei den Valmonts stehen, die an den weiteren Festlichkeiten teilnehmen wollten.
Die kleine Gesellschaft wanderte durch die laue Nachtluft zu dem Stadthaus, das Lothar de Haye weiterhin bewohnte, denn an seiner Villa am Rheinufer wurden noch die letzten Innenausbauten durchgeführt.
Die Euphorie, die die Musik in ihm ausgelöst hatte, klang noch immer in Alexander nach. Er schwieg, denn seine Dankbarkeit für die reine Freude, die ihm das Schicksal beschert hatte, konnte er nicht in gesprochene Worte fassen.
Seit er vor fast genau einem Jahr von seiner Rundreise zurückgekehrt war, hatte sich alles zum Guten gewendet. Nicht ohne Holprigkeiten und Ärgerlichkeiten natürlich, aber Stück für Stück hatte er wieder aufgebaut, was durch Intrige und Verrat zerstört worden war. Mit den Unterlagen, die seine Freunde zusammengetragen hatten, war es ihm gelungen, Paul Reinecke in die Enge zu treiben. Er hätte vielleicht sogar einen öffentlichen Prozess gegen ihn anstrengen können, aber er hatte Abstand davon genommen. Der Skandal war durch das Getuschel in Fachkreisen groß genug geworden, und der Ruf, ein schamloser Ideendieb zu sein, haftete inzwischen wie Teerpech an den Frackschößen des Elberfelder Fabrikanten. Nettekoven hingegen bekam inzwischen wieder so viele Aufträge, dass eine Erweiterung des Geschäfts notwendig wurde.
Von Paula hatte er sich auf die schnellstmögliche Art scheiden lassen, was noch einmal zu einer hysterischen Szene führte. Er hatte sich jedoch weder durch Tränen noch Vorwürfe von seinem Vorgehen abbringen lassen und seine ehemalige Gattin mit kalter Distanziertheit behandelt. Ihre Rolle in dem bösen Spiel war ebenfalls bekannt geworden und hatte ihm ärgerlicherweise den Hinweis des Friedensrichters eingebracht, man habe einer Frau eben keinen Einblick in die geschäftlichen Angelegenheiten zu gewähren.
Sofort nach Ablauf der Wartezeit von drei Monaten, die nach einer Scheidung vorgeschrieben waren, hatte er Amara geheiratet. Das war im Januar dieses Jahres gewesen, und seither lebten sie in dem kleinen Häuschen in Bayenthal. Doch eine größere Villa war bereits in Planung, direkt neben dem Gelände, auf dem die Schokoladenfabrik entstehen würde.
Alexander zog Amaras Hand unter seinen Arm, während sie durch die erleuchteten Straßen gingen. Sie bedachte ihn mit einem kleinen Lächeln, schwieg aber ebenfalls. Wie glücklich er sich schätzen konnte, eine Frau wie sie gefunden zu haben. Das kleine Häuschen fand sie bezaubernd, und ganz anders als
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