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Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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ihm im Notariat des Rechtsanwalts begegnet, bei dem ein größerer Liefervertrag besiegelt werden sollte. Verblüfft hatten sich die beiden jungen Männer angesehen, und Benson hatte, als die geschäftlichen Angelegenheiten erledigt waren, ihn höflich in sein winziges Büro gebeten.
    »Berlin, mein Freund. An der Havel. Bei dem einen oder anderen Glas Bier.«
    »Himmel, natürlich. Der Jurist mit dem Backenbart. Wo ist der geblieben?«
    »Beim Barbier. Man wünschte vom Juniorpartner meines Herrn Vaters eine glattere Visage. Und Sie, Masters?«
    »Technischer Leiter bei Reineckens.«
    »Solides Unternehmen. Drei hübsche Töchter.«
    »Eine davon meine Frau!«
    »Teufel auch. Meinen Glückwunsch.«
    Aber es musste in Alexanders Gesicht abzulesen gewesen sein, dass es mit dem Glück nicht zu weit her war. Erik vertiefte es nicht, schlug aber einen gemeinsamen Abend vor, bei dem sie ihre Bekanntschaft erneuerten und er seinem Freund vorsichtig auf den Zahn fühlte. Die Misere kam Stück für Stück heraus. Er schlug ihm also eine Ablenkung vor. Und die führte Alexander in die Gruppe von Turnern. Es waren alles Männer, die ihre Studienzeit noch nicht lange hinter sich gelassen hatten und nun aus beruflichen oder familiären Gründen in Elberfeld oder Barmen gelandet waren. Sie begaben sich damit auf gefährliches Gebiet, denn die übervorsichtigen preußischen Behörden beäugten derartige Versammlungen erneut mit geradezu hysterischem Misstrauen. Daher schoben nun, als die Kirchturmuhr neun schlug, vier von ihnen die Geräte hinter einen hölzernen Verschlag. Alexanders Aufgabe war es, ein paar Eimer an der Pumpe im Hof zu füllen, und ohne falsche Scham zogen die Turner ihre einfachen grauen Hosen und Hemden aus, um sich mit dem kalten Wasser zu waschen. Den Raum betraten und verließen sie nur in schicklicher Straßenkleidung, um keinen Verdacht zu erregen. Die verschwitzten Turnanzüge sammelten sie in Säcken, die drei der Beteiligten mitnahmen, um sie waschen zu lassen. Auch Alexander schmuggelte hin und wieder einen solchen Sack unter die Hauswäsche, die einmal wöchentlich von dem Dienstmädchen und einer Wäscherin geschrubbt wurde. Es erregte kein Aufsehen, denn wenn er mit den Maschinen arbeitete, trug er grobe Kleidung, genau wie die Arbeiter. Ebenso hielten es einer der Turner, der in einer Weberei beschäftigt war, und ein anderer, der als Chemiker in einer Färberei sein Geld verdiente.
    »Gehen wir noch ein Bier trinken«, schlug jemand vor, als sie die Halle verschlossen. Bis auf zwei, die weitere Verabredungen hatten, zogen sie in ein Wirtshaus ein und okkupierten einen Ecktisch. Sie waren bekannt, der Wirt brachte unaufgefordert die Gläser.
    »Neun Tote und vierundzwanzig Verletzte hat es gegeben, habt ihr es gehört?«
    Mit gedämpfter Stimme berichtete ein junger Zahnarzt von den Neuigkeiten aus Frankfurt, wo eine Gruppe Studenten die Polizeiwache gestürmt hatte. Sie hatten ein Zeichen setzen wollen gegen die restaurative Politik, die um der staatlichen Ruhe willen jegliche freie Meinungsäußerung scharf verfolgte und verurteilte.
    »Lasst uns nicht in der Öffentlichkeit darüber diskutieren«, mahnte ein anderer, und zwei weitere nickten. Dennoch empfanden sie, wie viele junge Leute ihrer Zeit, Sympathie für die Aufständischen, die eine demokratische Erhebung in ganz Deutschland bewirken wollten.
    »Ja, sprechen wir über harmlosere Themen. Alexander, was ich schon immer über diese verdammten Maschinen wissen wollte...«
    Alexander ging gerne darauf ein und erklärte seinen Bekannten die Funktionsweise von Kupplungen und Übersetzungen. Andere wandten sich dem örtlichen Klatsch zu. Ein Grüppchen Arbeiter mit einigen Mädchen polterte in den Schankraum. Die Mädchen, kaum zwölf oder dreizehn, lachten kreischend und ließen sich neben den Männern auf die Bänke fallen. Sie waren ganz eindeutig betrunken.
    Alexander hörte, wie sein Nachbar seufzte: »Die Kinder haben einfach keine Zukunft, wenn man sie so behandelt.«
    »Welche Kinder?«
    »Die in den Webereien hier arbeiten. Herr im Himmel, ich habe es versucht, wirklich. Aber abends um acht Uhr ist da nichts mehr zu machen.«
    »In England haben sie schon die Arbeitszeit für Kinder reduziert«, warf ein anderer ein.
    »Das wird hier noch auf sich warten lassen«, murmelte Alexander, der darüber einschlägige Erfahrungen in den Diskussionen mit seinem Schwiegervater und dessen Freunden gesammelt hatte. »Die Unternehmer brauchen die

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