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Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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wir die verkohlten Trümmer betrachteten, übermannte mich ein unkontrolliertes Zittern.
    »Das war meine Schuld«, flüsterte ich.
    »Nein, Amara. Das hat sollen sein.« Nadina Galinowa legte tröstend ihren Arm um meine Schulter und zog mich mit dem einen, Melinda mit dem andern dicht an sich heran. »Es war Zeit. Ich wollte etwas Neues tun. Hatte Pläne gemacht. Nun müssen wir sie schneller wahr machen. Helft ihr mir dabei?«
    »Ja, Mamtschka«, sagte Melli, noch heiser vom Rauch.
    »Natürlich, Madame Galinowa.«
    »Ich bin jetzt Nadina für dich, Amara. Denn du wirst unsere Partnerin.«
    »Ich werde...?«
    »Wir machen Café auf. Ich bin es leid, den Winter über kaum etwas verdienen zu können.«
    Ich hörte auf zu zittern und fühlte, wie ein Schwindel mich packte. Das Schicksal hatte mir alles genommen, gerade als wir davorstanden, ein Café zu eröffnen. Nun hatte es wieder zugeschlagen. Und deswegen würden wir nun ein Café eröffnen.
    »Danke, Nadina«, sagte ich leise.

Trautes Heim
    O Ehestand!
O Wehestand!
    Romeo und Julia, Shakespeare
     
     
    Mit Schwung kam Alexander nach der Felge mit einer halben Drehung in den Handstand, hielt ihn einen Moment und machte mit einem Salto den Abgang vom Barren. Dann ging er zum Reck und vollführte eine Reihe von Schwüngen. Seine Mitturner nickten beifällig. Er hatte sich in kurzer Zeit die grundlegenden Techniken angeeignet und auf seine eigene, verbissene Art inzwischen eine gewisse Virtuosität an den Geräten gezeigt.
    An drei Abenden in der Woche suchte er die unauffällige Halle hinter einer Schmiede auf, in der sich eine Gruppe von zwölf jungen Männern traf, um dem verbotenen Sport nachzugehen. Es war seine einzige Fluchtmöglichkeit aus dem goldenen Käfig, in dem er sich seit drei Jahren befand.
    Beruflich war es ein geradezu sagenhafter Aufstieg gewesen. Vom Handlanger eines Ingenieurs in England zum verantwortlichen Entwickler bei Egells war er nun der technische Leiter der Maschinenfabrik seines Schwiegervaters. Doch anders als bei den Stellen vorher hatte er hier weder weitere Entwicklungsmöglichkeiten noch konnte er kündigen. Er war gefesselt an seine Frau, an das düstere Haus der Reineckens, die engstirnige Vorstellungswelt seines Schwiegervaters und die miefige Atmosphäre einer frömmlerischen Kleinstadt, deren höchstes kulturelles Ereignis der sonntägliche Gottesdienst war. Schon beim ersten Anblick des klobigen Wohnhauses hatte ihn das Gefühl übermannt, es öffneten sich Kerkertüren vor ihm. Die schwarze Schieferverkleidung der gesamten Fassade, die hier im Bergischen üblich war, mochte praktisch sein, aber sie wirkte hässlich und bedrückend auf ihn.
    Genauso bedrückend war die Stimmung in der Familie. Zu gerne hätte er für seine Frau und seine Tochter ein eigenes Heim geschaffen, aber Paula kränkelte seit der Geburt des Kindes und benötigte Pflege und Beistand durch ihre Mutter. Völlig außerstande sah sie sich, einem Haushalt vorzustehen oder gar ihre Tochter großzuziehen. Was genau für ein Leiden sie befallen hatte, konnte ihm auch der Arzt nicht recht beantworten. Offensichtlich war es etwas derart Delikates, dass es nur im Flüsterton unter Frauen erwähnt werden konnte. Und es verschlimmerte sich immer dann, so merkte er allmählich, wenn er seiner Gattin gegenüber auch nur die leiseste Forderung stellte. Da sie unweigerlich Opfer schmerzhafter Migräneattacken wurde, wenn er sich auch nur auf Schrittweite ihrem Bett näherte, hatte er ein eigenes Schlafzimmer bezogen. Bitten um Begleitung bei den seltenen gesellschaftlichen Verpflichtungen verursachten ihr regelmäßig Magenbeschwerden, und die mildeste Aufregung riefen »Vapeurs« hervor, Anfälle von Atemnot, die sich bis zu Ohnmachten steigern konnten. Gerade heute hatte es wieder eine solche Szene gegeben.
    »Auf, Alexander, du bist dran. Zeig, wie du das Pferd beherrschst!«
    Erik Benson holte ihn aus seinen Grübeleien und schubste ihn in Richtung Turngerät. Mit mehr Kraft als Anmut flankte er darüber und absolvierte auch die anderen Übungen mit trotziger Energie. Es half etwas gegen die aufgestaute Wut.
    Der junge Advokat grinste ihm zu, als Alexander mit einem elastischen Satz vor ihm landete.
    »Du dampfst förmlich aus den Ohren. Hattest du wieder Ärger mit deinem Schwiegervater?«
    »So ungefähr.«
    Erik war sein Retter gewesen und der einzige Freund, dem er seine Sorgen, oder zumindest einen kleinen Teil davon, anvertraute. Vor zwei Jahren war er

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