Göttertrank
sich private Haushalte belieferten.
Doch nun hatte sich etwas geändert, und das gab ihm auch eine Erklärung für manche Ungereimtheiten.
» Wir haben hochgestellte Besucher gehabt, die einen Umschwung bewirkt haben. Die Gräfin, bei der meine Mutter früher in Stellung war, ist nach einem langen Auslandsaufenthalt wieder nach Berlin zurückgekehrt. Sie ist eine wunderbare Dame, und sie hat sich tatsächlich nach meinem Stiefvater, dem Konditor Wolking, bei den Nachbarn erkundigt. Sie hörte von seinem Tod und unserem Wegzug und forschte weiter. So hat sie von Madame Nadinas Café erfahren. Sie hat uns zusammen mit einer Bekannten, der Baronin von Briesnitz, deren Tochter Baroness Dorothea und dem Sohn Maximilian an einem Nachmittag aufgesucht. Meine gewürzte Schokolade und die Mandelcremetorte fanden ihren Beifall. Sie lobte mich auf die gütigste Art und sprach mir ihr Beileid aus. Die Baronin hingegen wirkte etwas verschnupft, aber das mochte daran liegen, dass die Gräfin ihr schon vor Jahren meine Mutter abgeworben hat. Die Baroness, ein fülliges junges Mädchen mit einem erstaunlichen Appetit, ließ sogar ein paar Sticheleien über etwaige Skandale verlauten, was mich aber nicht sonderlich tangierte .«
Was immer sich zwischen diesen Zeilen wohl verbergen mochte, fragte sich Alexander schmunzelnd. Auf jeden Fall hatte die wohlwollende Gräfin das Café in Mode gebracht, und seit einiger Zeit brauchte Madame Galinowa sich über mangelnden Zulauf von Mitgliedern der mondänen Welt nicht mehr zu beklagen.
Er freute sich für sie darüber. Zumindest bestätigte Amara seine Hypothese, dass man einem Menschen, der vorankommen will, nur den Schubs in die richtige Richtung geben musste. Es war ihm bei ihr gelungen, bei Paula hatte er jedoch versagt. Aber er nahm sich fest vor, seiner Tochter alle Chancen zu bieten, die sie zu einem glücklichen Leben fähig machten.
Und wenn er Schwester Gnadenlos eigenhändig aus dem Haus werfen musste.
Da es auf einfachem Weg nicht ging – seine Schwiegermutter würde sich mit Händen und Füßen dagegen wehren und Paula ihre Anfälle bekommen -, musste ihm etwas einfallen, wie er das Weib bei den Damen in Misskredit bringen konnte. Sie war ein heuchlerisches Frauenzimmer von strenger pietistischer Weltauffassung, eine Glaubensrichtung, die gerade im Bergischen viel Zulauf fand. Aber gerade die lauthals Rechtschaffenen, so hatte ihn das Leben gelehrt, haben alle auch ein Laster. Es war nur eine Frage der Beobachtung herauszufinden, welches das ihre war. Eigentlich lag ihm solches Vorgehen nicht, aber Geradlinigkeit führte in diesem Haus nun mal nicht zum Erfolg. Und das fröhliche Lachen seiner kleinen Tochter war ihm wichtig genug, auch verwinkelte Wege zu gehen.
Es überraschte ihn gelegentlich selbst, dass er für sein Kind solche tiefen Gefühle hegte. Noch nie hatte er jemanden beschützen, fördern und – einfach lieben wollen.
Ein hoffnungsloser Fall
Schlägt dir die Hoffnung fehl,
nie fehle dir das Hoffen!
Ein Tor ist zugetan,
doch tausend sind noch offen.
Weisheit des Brahmanen, Rückert
Señorita Miranda fletschte die Zähne. Sie tat es nicht freiwillig, und Jan Martin, der bei ihr saß, versuchte wieder einmal, mit heißen Tüchern den sich ankündigenden Krampf zu lösen. Begonnen hatte es vor drei Tagen mit Schluckbeschwerden und Fieber, dann verzerrte sich ihre gesamte Gesichtsmuskulatur, und nun hatte Jan Martin Stellung an ihrem Bett bezogen, da die Anfälle immer häufiger auftraten. Die Ursache dieser Krankheit lag in einer verhältnismäßig kleinen Verletzung, die sich die Señorita bei einem Ausritt vor einer Woche zugezogen hatte. Übertriebene Schamhaftigkeit hatte sie daran gehindert, diesen Riss in der Wade von ihm fachgerecht behandeln zu lassen. Die Wunde war ohne größere Entzündung abgeheilt, doch der Schmutz, den sie nicht entfernt hatte, verursachte ihr die jetzige Pein.
Miranda war die Tochter des Kaffeeplantagenbesitzers, dessen Hacienda die letzte Station von Jan Martins Reise durch Venezuela war. Er war auf Einladung seines Großcousins Hans Jakob Jantzen hier, der mit der älteren Tochter des Hauses verheiratet war. Doña Louisa war eine hübsche, wohlerzogene Dame, ihre Schwester überstrahlte sie zwar an Schönheit, nicht jedoch an Höflichkeit. Die schnippische junge Frau hatte ihm schon beim ersten Zusammentreffen Unbehagen verursacht. Ihr Bestreben, ihn ständig mit ihren Koketterien herauszufordern, machte ihn
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