Göttertrank
gehemmt, und als er dann auch noch ungewollt mitbekam, wie sie sich bei Louisa beschwerte, er sei, was Frauen anbelangte, ein hoffnungsloser Fall, hatte er sich, so weit es möglich war, von ihr zurückgezogen. Er wurde den Eindruck nicht los, dass sie es ihrer Schwester gleichtun und sich einen deutschen Ehemann angeln wollte.
Obwohl Jan Martin in den dreizehn Monaten, die er bei Verwandten, Geschäftspartnern und Freunden verbracht hatte, einiges an Schüchternheit verloren hatte, verunsicherten ihn Frauen noch immer. Er beneidete die Männer, denen ein vergnüglicher Flirt leichtfiel oder die ihr Glück in losen Affären fanden. Ein gutmütiger Gastgeber hatte seine Hemmungen erkannt und wollte ihm mit dem Besuch in einem gut geführten Bordell darüber hinweghelfen. Nur leider war er, als sich eine junge Dame in eindeutiger Absicht an ihn schmiegte, peinlich berührt aufgestanden und hatte, Entschuldigungen stammelnd, fluchtartig das ansprechende Haus verlassen. Auch die Gesellschaft einer lebenslustigen Witwe, die ihm unverhohlen Avancen machte, hatte er beinahe panisch gemieden.
Dennoch saß er jetzt hier in dem abgedunkelten Zimmer und versuchte verzweifelt, Mirandas Leben zu retten. Leider entwickelte sich der Wundstarrkrampf mit zunehmender Heftigkeit, und nur mit starken Dosen Laudanum konnte er die Patientin einigermaßen stillhalten. Er hatte kaum noch Hoffnung für sie, wagte das aber nicht laut zu äußern.
Einmal mehr dachte er an den schrulligen Schiffsarzt Doktor Klüver zurück, der ihn auf die Wichtigkeit der Wundreinigung aufmerksam gemacht hatte. Er musste ihm vollkommen zustimmen. Seine praktischen medizinischen Kenntnisse hatten in der letzten Zeit erheblich zugenommen. Zwar war er als Gast bei den Familien aufgenommen und dabei mit überwältigender Großzügigkeit und Freundlichkeit überschüttet worden, doch bot er immer seine Hilfe an, wenn es zu gesundheitlichen Problemen kam. Gerade auf den abgelegenen Plantagen wurde dieses Angebot dankbar angenommen. Er hatte zwei Kinder entbunden, unzählige Verletzungen behandelt, einem fast blinden Großvater den Star gestochen und etliche vereiterte Zähne gezogen. Die Hilfe, die er anzubieten in der Lage war, stärkte sein Selbstbewusstsein.
Ebenfalls gutgetan hatte ihm der vierwöchige Aufenthalt am Meer. Auch hier dankte er Doktor Klüver für seinen Rat. Der hatte ihm nämlich gegen Ende der Reise vorgeschlagen, sich einer Salzwasserkur zu unterziehen, um die lästigen Pickel loszuwerden. An den einsamen Stränden der Karibik hatte er diesen Rat befolgt, und so war das Übel tatsächlich verschwunden. Auch wenn er sich in den ersten Tagen einen grellroten Sonnenbrand zugezogen hatte. Nur sein Leibesumfang hatte sich nicht verringert. Im Gegenteil – Doktor Jan Martin Jantzen konnte man als recht korpulent bezeichnen.
Mirandas Schwester öffnete leise die Tür zum Krankenzimmer. Sie trug ein Tablett mit einem beschlagenen Glaskrug und Gläsern in der Hand. Der Eistee war ihm sehr willkommen, auch die kleinen, delikaten Schnittchen, die auf dem Teller aufgehäuft waren. Doch als Doña Louisa das Tablett auf dem Tisch absetzte, klirrte das Geschirr, und selbst dieser kleine Laut führte dazu, dass Miranda in neuen Krämpfen erstarrte. Verzweifelt versuchte er, ihre harte Nackenmuskulatur zu lockern, die ihren Kopf in einem unnatürlichen Winkel nach hinten bog. Beinahe zwei Minuten hielt die Starre an, dann löste sie sich, doch dafür begannen Arme und Beine wie wild zu zucken. Die Schwester musste mithelfen, die Patientin daran zu hindern, aus dem Bett zu fallen und sich zu verletzen.
»Die arme Miranda«, flüsterte sie, als sie schließlich ruhiger wurde. »Wird sie wieder gesund, Doktor?«
»Ich hoffe es, Doña Louisa. Können Sie ein sehr heißes Bad vorbereiten? Möglicherweise löst es die Krämpfe in ihrem Nacken.«
»Ja, Doktor. Ich kümmere mich darum.«
Sie verschwand lautlos, und Jan Martin machte sich über den Imbiss her. Dann setzte er sich wieder an das Bett der Kranken und ließ seine Gedanken wandern. In einigen Tagen würde sein Schiff Richtung Heimat gehen. Er hatte von dem Geschäftspartner seines Vaters schon Nachricht aus Caracas erhalten, die Mathilda aus Bremen sei eingelaufen und werde überholt. Dann würde sie Kaffee laden und ihn an Bord nehmen. Er war zufrieden, wieder heimkehren zu können, aber auch auf die Überfahrt freute er sich. Heimlich hoffte er, Lothar de Haye wiederzutreffen. Der
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