Göttertrank
Melisande das Tablett mit den Tellern und trug es zu den Gästen.
Das »Café Nadina« florierte. Zu nachmittäglicher Stunde fand sich ein elegantes Publikum ein, schneidige Offiziere führten ihre Begleiterinnen gerne hier hin, hochgestellte Damen trafen sich zu Kaffeekränzchen und Geplauder, häufig in Begleitung ihrer jungen Töchter. Am frühen Abend tauchten die Herren auf, die bei dem ausgezeichneten Kaffee ihre Zeitung lesen wollten oder sich mit Bekannten über die politische Lage austauschten. Gegen sechs nahm an drei Tagen ein Pianist am Klavier Platz und unterhielt die Besucher mit leichten Melodien. Bis zehn Uhr ließ Nadina den Gästen herzhafte kleine Gerichte servieren, dann aber schloss sie das Café.
Meine Aufgabe war das Zubereiten des Gebäcks und der Süßspeisen. Diese Arbeiten füllten meinen Vormittag aus. Kaffee, Tee und Kakao wurden immer frisch aufgegossen, und hier hatte ich mir, auf eine leise geflüsterte Anregung von Lady Henrietta hin, ein zusätzliches Wissen angeeignet. Meine Wiener Kaffeespezialitäten erfreuten sich großer Beliebtheit, und so mancher Fiaker, Einspänner oder Franziskaner fand seinen Abnehmer. Aber auch für den Kakao probierte ich verschiedene Zubereitungen aus. Ich würzte ihn mit Vanille oder mit einem Hauch Kardamom oder Piment, kochte ihn entweder mit Wasser oder mit Milch auf, und ein ganz besonders ausgefallenes Rezept hatte mir interessanterweise der junge von Briesnitz, Dorotheas Bruder, verraten, der oft mit Freunden vorbeischaute. Sein Onkel, der offenbar weit in der Welt herumkam, hatte ihm berichtet, die Eingeborenen Südamerikas und auch die Spanier liebten es, den Kakao mit Chili gewürzt zu trinken. Chili hatten wir nicht zur Hand, aber ich fand die kleine Prise Pfeffer in dem Getränk äußerst wirkungsvoll. Oft wurde diese Mixtur nicht bestellt, aber einige der Herren schätzten sie mehr als die süßen Variationen.
»Der Freiherr von Humboldt beehrt uns mit seiner Anwesenheit«, hauchte Melisande bei ihrem nächsten Auftritt in der Küche ehrfürchtig.
»Wer?«
»Der große Forscher, du weißt schon. Südamerika, Russland und so. Sind drei Professoren bei ihm. Steife Kerle mit Spitzbärten und Monokel.« Sofort hatte Melisande das würdige Gehabe der Akademiker angenommen und zog an einer imaginären Pfeife. Ich musste schmunzeln, konzentrierte mich aber auf das Einschenken des Kaffees. »Sie werden einen Cognac dazu trinken wollen«, vermutete ich und sah mich nach den Gläsern um.
»Ah, dann hat der große Gelehrte ja recht. Denn gerade bemerkte er: ›Überall geht ein frühes Ahnen einem späten Wissen voraus.‹«
Mellis Pathos brachte mich wieder zum Lachen. »Na, dann schau nach, ob meine Ahnung zum Wissen wird!«
Melisandes hauptsächliche Aufgabe bestand im Servieren, und das machte sie mit immer gleichbleibendem Elan. In den ersten Monaten hatte sie sich zuweilen im Ton vergriffen. Kesse Sprüche mochten bei Studenten gut ankommen, die vornehmen Herrschaften schauten bei solchen Ausrutschern meist ziemlich pikiert drein. Inzwischen hatte sie sich dank ihres ausgeprägten schauspielerischen Talents die zuvorkommenden Manieren angeeignet, die man von einer Serviererin in gehobenen Kreisen verlangte. Nur wenn sich die Küchentür hinter ihr schloss, ließ sie ihren spitzzüngigen Bemerkungen freien Lauf. Zudem parodierte sie gerne die kleinen Schrullen ihrer Besucher, und oft mussten Ella, das Dienstmädchen, und ich uns die Seiten halten vor Lachen. Bekam jedoch ihre Mutter Nadina solche frechen Äußerungen mit, wies sie Melisande streng zurecht.
»Wir haben ihnen Respekt zu geben. Auch hinter der Tür! Sonst ist unser Auftreten nicht ehrlich«, mahnte sie oft, aber ich kannte sie inzwischen gut genug, um das heimliche Amüsement in ihren Augen zu lesen. Es war auch nicht Verachtung, was in Mellis Darstellungen lag, sondern ihr Sinn für Komik. Den durfte sie hin und wieder an den musikalischen Abenden ausleben. Dann sang sie zur Begleitung des Pianisten kecke Couplets, was besonders die jüngeren Herren erfreute. Und den Klavierspieler in einen glühenden Anbeter verwandelte. Melisande genoss beides, den Applaus und die Anbetung, aber sie hielt ihre Bewunderer auf vorsichtiger Distanz. Bei dem Pianisten wurde sie jedoch etwas nachgiebiger. Wenn das Café geschlossen hatte, hörte man sie manchmal vierhändig Klavier spielen. Eine Weile lang …
Die gefüllten Cognacgläser holte Nadina selbst ab, um sie dem berühmten
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