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Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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vor einundzwanzig Jahren. Und ich trage die Schuld daran.«
    »Falsch, Alexander«, erklärte Cornelius. »Dein Vater wurde verwundet. Und zwar in dem Augenblick, als er auf einen Jungen im Matrosenanzug zulief, der sich auf das Schlachtfeld gestohlen hatte. Er glaubte, seinen Sohn retten zu müssen, doch eine Granate explodierte genau zwischen ihnen. Der Junge, bis zur Unkenntlichkeit entstellt, musste Alexander sein, so nahm man an, denn der hatte die Unterkunft unerlaubt verlassen. Dein Vater erholte sich von den Verletzungen, aber der Verlust des Sohnes traf die Familie unsagbar schwer.«
    Antonia nahm Alexander das Weinglas aus der zitternden Hand und fasste sie mit festem Griff.
    »Du hast die Kleider mit dem Stalljungen getauscht, nicht wahr? Du wolltest in der Schlacht bei deinem Vater sein?«
    »Ja, ja, das habe ich getan. Aber...«
    »Du bist verletzt worden und konntest dich an nichts mehr erinnern. Und als du dich erinnertest, warst du schon in England. Ein Kind noch, hilflos und nicht in der Lage zurückzukehren. Und, Master Alexander, an den Namen deines Vaters, Karl Viktor Graf von Massow, hast du dich bis heute nicht erinnert.«
    Auch Cornelius rückte näher an Alexander und legte ihm den Arm um die Schultern.
    »Es ist ein ziemlicher Schock, nicht wahr? Du bist so lange im Ungewissen darüber gewesen.«
    »Mein Vater lebt?«
    »Ja, dein Vater lebt, deine Mutter ebenfalls und dein Bruder auch. Graf von Massow ist heute General und gehört in Berlin zu dem engsten Kreis der Regierungsmitglieder. Dein Bruder ist gerade dabei, eine ähnliche Karriere zu machen.«
    »Es wäre besser gewesen, ich wäre tatsächlich auf dem Feld geblieben«, murmelte Alexander fassungslos. »Ich hoffe, ihr habt dem Grafen gegenüber nie erwähnt, dass ich noch lebe.«
    »Wir haben nur Erkundigungen über ihn eingeholt. Es ist deine Aufgabe, in Kontakt mit ihm zu treten.«
    »Das werde ich nie tun.«
    Cornelius nahm seinen Arm fort und schüttelte Alexander leicht.
    »Junge, natürlich meldest du dich bei deiner Familie.«
    »Das kann ich nicht. Ich habe … Schande über sie gebracht. Siehst du das nicht?«
    »Dummkopf!«
    Antonia mischte sich ein. »Nein, ich verstehe das. Schreib ihnen, wenn du hier raus bist, Alexander. Wenn du eine neue Stelle angenommen und deinen Stolz wiedergefunden hast. Es ist nicht leicht, ein verlorenes Kind zu sein. Ich habe meine Eltern auch erst nach vielen Jahren gefunden. Ich weiß, wie schwer das ist.«
    Alexander stand auf und wanderte über den Wehrgang. Der Wind spielte in seinen Haaren, und die Sonne ließ die weiße Strähne an seiner Schläfe aufglänzen.
    Die Vergangenheit holte ihn ein, und zäh klammerte er sich an die Hoffnung, es möge alles so bleiben, wie es war.
    Aber das tat es nicht.

Rolling home
    Rolling home, rolling home,
Rolling home across the sea,
Rolling home across the ocean,
Rolling home, sweetheart to see.
    Shanty
     
     
    Jan Martin verblüffte es selbst, dass er keinerlei Angst verspürte, als er das Deck der Annabelle betrat. Aber die Furcht vor dem Meer hatte Gilbert ihm ausgetrieben. Über die Schulter blickte er nach unten, wo sich sein Gefährte am Kai mit einer Umarmung von seiner Schwester Inez verabschiedete.
    »Ja, ist das die Möglichkeit!«, rief eine Männerstimme neben ihm aus. »Sind Sie das tatsächlich, Jan Martin Jantzen? Doktor?«
    »Himmel, Herr de Haye. Der Zufall schlägt eigensinnige Kapriolen.«
    »Wahrhaftig.«
    Jan Martin schüttelte begeistert die Hand, die ihm der sonnenverbrannte Weltenbummler hinstreckte. Er hatte sich keinen Deut verändert. Um seinen Kopf flatterten wild die dunklen Haare, der helle Leinenanzug bedeckte eine drahtige Figur, und seine Augen blitzten vor Vergnügen.
    »Sie haben offensichtlich länger als vorgesehen gebraucht, um die Besuchsliste Ihres Vaters abzuarbeiten. Aber es scheint Ihnen gut bekommen zu sein.«
    »Die Betonung, Herr de Haye, liegt auf ›arbeiten‹. Aber das ist eine andere Geschichte. Sind Ihre Forschungen erfolgreich gewesen?«
    »Oh, sehr, aber auch das ist eine andere Geschichte. Na, wir haben ja gut sechs Wochen Zeit, sie uns zu erzählen.«
    Gilbert war inzwischen ebenfalls an Bord gekommen und gesellte sich zu Jan Martin.
    »Herr de Haye, darf ich Ihnen meinen Freund Gilbert de Valmont vorstellen? Seiner Familie gehört eine der größten Kakaoplantagen auf der Insel.«
    Die beiden Männer begrüßten sich, und man wechselte ins Spanische, dann in die Sprache, die sie alle am

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