Göttertrank
Jan Martin bewirkt, die ihn erst Yuni erkennen ließ. Niemand wäre zu diesem Zeitpunkt noch auf die Idee gekommen, ihn ein fettes weißes Schwein zu nennen. Doch das Erbe seiner nordischen Vorfahren hatte er in vollem Ausmaß erst entdeckt, als er im Herrenhaus aus dem Bad gestiegen war und sich nackt in dem bodentiefen Ankleidespiegel gesehen hatte. Er erkannte sich für einen Augenblick selbst nicht wieder. Seine Haare, blond, von der Sonne gebleicht, fielen in Locken bis auf seine Schultern, der Bart, sorgsam gestutzt, lockte sich ebenfalls um sein Kinn und bildete einen bemerkenswerten Kontrast zu der gebräunten Haut. Selbst die Brandnarbe am Auge schien verschwunden zu sein. Er war ein prachtvoller junger Mann geworden, was die Dienerin, die mit einigen Kleidungsstücken in das Zimmer trat, mit den Worten: »Qué hombre!« honorierte und bewundernd ihren Blick auf seinem muskulösen Rücken ruhen ließ.
Dennoch blieb er zurückhaltend, wenn Frauen versuchten, seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Gilberts Freundschaft dagegen hatte er gerne angenommen. Der Sohn des Plantagenbesitzers war etwa gleich alt wie er, groß, schwarzhaarig und mit aristokratischen Zügen. Sie fanden viele gemeinsame Interessen. Da Jan Martin auch Botaniker war, führten sie häufig lange Fachsimpeleien, bei denen die Valmonts einige erstaunliche Einsichten gewannen. So hatte er beispielsweise bei seinen Arbeiten beobachtet, dass die Bäume, unter denen faulende Bananen oder andere pflanzliche Abfälle lagen, weit mehr Früchte ansetzten, als jene, deren Umgebung sauber gehalten wurde. Gilberts Vater wollte es nicht glauben, aber als er sich bereit erklärte, sich vor Ort dieses Phänomen anzuschauen, wurde auch er überzeugt.
»Es sind die winzigen Fliegen, Señor, die sich in den verwesenden Abfällen finden. Sie befruchten die kleinen Blüten des Kakaobaums. Die Früchte, die sich daraus entwickeln, sind auch größer als die, die durch Windbefruchtung entstehen. Darum lassen Sie ruhig den Boden verschmutzen.«
Er überredete den Pflanzer, es mit einem bestimmten Areal zu versuchen, und der Beweis ließ nicht lange auf sich warten. Großzügig waren die Valmonts ohnehin, ihre Gastfreundschaft umfasste nicht nur ein eigenes Appartement für Jan Martin, sondern auch eine komplette neue Garderobe, die Nutzung aller Annehmlichkeiten des Hauses und eine ansehnliche Summe Geldes, die der Besitzer ihm quasi als Entschädigung für die grobe Behandlung als sein Arbeiter erstattet hatte. Für die neue Erkenntnis wollte er ihm einen weiteren Bonus auszahlen, aber endlich wehrte Jan Martin sich dagegen. Er bat stattdessen, ihm eine Schiffspassage in die Heimat zu finanzieren. 1832 war er in Bremen an Bord der Annabelle gegangen. Über ein Jahr hatte er in Venezuela verbracht, dann spülte ihn der Schiffbruch im Herbst 1833 auf Trinidad an. Erst Mitte 1834 war es ihm gelungen, der Plantagenarbeit zu entkommen, und ein halbes Jahr hatte er als Gast bei Valmonts verbracht. Sein Zögern, wieder ein Schiff zu betreten, ließ ihn die gerne gewährte Gastlichkeit dankbar annehmen. Selbstverständlich waren Briefe nach Hause gesandt worden und Antworten eingetroffen. Und nach und nach wurde das Heimweh stärker als die Angst vor dem stürmischen Meer. Gilbert bemerkte es und ließ sich eine besondere Therapie einfallen. Er brachte Jan Martin das Segeln bei. Wider Erwarten fand er höchstes Vergnügen daran, mit dem kleinen Boot auf dem blauen Wasser zu kreuzen. Sie legten an den einsamen Stränden der Inseln an, fuhren weiter zu den Nachbarinseln und mussten sogar einmal einen Sturm auf See durchstehen. Gilbert war ein herzlicher Freund, hatte Respekt vor Jan Martins profundem Wissen und nahm seine Anfälle von Schüchternheit mit einem Humor, der nie verletzend war. Eines Tages hatte er dann während eines gemütlichen Törns durch die karibischen Gewässer vorgeschlagen: »Ich würde gerne Deutschland kennenlernen, Jan. Vater spricht davon, seinen Kakao auch nach Bremen, nicht nur nach Hamburg zu liefern. Persönliche Kontakte mit den Handelshäusern wären sicher von Vorteil.«
»Ganz bestimmt. Nur mit meinem Vater wirst du nicht rechnen können. Er ist nicht besonders risikofreudig.«
»Es wird doch wohl andere geben.«
»Natürlich.«
»Außerdem würde ich auch gerne einige Städte kennenlernen und die schönen blonden Frauen«, bat er mit einem verschmitzten Lächeln. »Heiraten soll ich nämlich auch, meint Maman.«
»Wir werden
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