Göttertrank
verbindliches Lächeln auf den Lippen, grüßte freundlich in die Runde und vertiefte sich in ihre Lektüre, bei der sie eine Tasse Schokolade und ein Stück trockenes Gebäck zu sich nahm. Pünktlich um vier verließ sie wieder das Café.
»Sie heißt Linda Aaron und besucht Ökonomievorlesungen bei Professor Hoffmann. Ihr Vater ist auch Professor. Geschichte.« Melisande hatte diese Informationen schon nach dem dritten Besuch der lesenden Dame herausgefunden.
»Da wird sie sich einen reichen Mann unter den Studenten suchen. So wie die aussieht, hat die ja keine anderen Möglichkeiten«, kommentierte Andreas diese Nachricht gehässig.
»Sie ist ausgesprochen hübsch, wenn auch nicht ganz modisch«, wandte Melisande ein, aber Andreas verbreitete an den Tagen, an denen er nüchtern zu bleiben hatte, immer eine mürrische Laune. Er schnaufte nur: »Frau mit Brille. Wer will so was denn?«
»Und wer will einen Mann mit einer Schnapsfahne?«, schoss ich zurück, denn meine Geduld wurde durch den ewig unzufriedenen Bäcker weit mehr strapaziert als Melisandes heiteres Wesen. Ich erntete einen verächtlichen Blick und wandte mich ab, um den bestellten Kakao zuzubereiten. Ich servierte ihn auch selbst und wechselte einige freundliche Worte mit Linda Aaron, deren natürliches und ungeziertes Wesen mich sehr für sie einnahm.
»Ein wirklich angenehmes Lokal führen Sie hier. Und Ihren Kakao liebe ich geradezu. Er stärkt und sättigt.«
»Und muntert auf und tröstet. Ja, er wird nicht von ungefähr Göttertrank genannt.«
»Tatsächlich? Aber Sie würzen ihn auch mit einer besonderen Zutat, nicht wahr? So eine Schokolade wie diese habe ich noch nie genossen.«
»Ich gebe Vanille, einen Hauch Kardamom und eine winzige Prise Muskatnuss hinzu.«
Linda Aaron lachte. »Wenn ich mit Küchendingen erfahrener wäre, könnte ich sie mir jetzt sicher selbst herstellen. Aber leider liegen meine Fähigkeiten weit abseits des Herdes.«
»Jeder hat seine Begabungen und sollte sie nach Maßen pflegen, gnädiges Fräulein.«
»Entweder Sie haben Kant gelesen, oder sie sind eine Philosophin.«
»Weder das eine noch das andere. Ich betreibe ein Handwerk.«
»Aber das mit Begabung.«
»Möglicherweise.« Ich lächelte die ernsthafte Linda an, und sie erwiderte das Lächeln. Sie ist wirklich hübsch, ging es mir durch den Kopf, und bei der Gelegenheit kam mir eine Idee. »Kommen Sie doch mal abends vorbei, wenn Sie Zeit haben. Wir servieren ab sechs Uhr auch einen herzhaften Imbiss und haben musikalische Unterhaltung.«
»Tatsächlich? Nun, ich werde es mir überlegen.«
Julius kam noch immer an drei, vier Tagen in der Woche gegen sechs im Café vorbei, oft mit Bekannten, aber manchmal auch alleine. Seinen Fensterplatz hielt Nadina reserviert, doch als Linda Aaron tatsächlich eine Woche später am späten Nachmittag durch die Tür trat, führte Melisande sie auf meine Bitte genau an diesen Tisch.
Als ich kurz darauf mit einem beladenen Tablett aus der Küche kam, bemerkte ich zufrieden Julius, der ein wenig unschlüssig in dem vollbesetzten Café stand und zu seinem Stammplatz blickte. Ich lieferte meine Bestellungen ab und wandte mich dann an den jungen Grafen.
»Gnädiger Herr, es ist voll heute Abend. Möchten Sie sich irgendwo dazusetzen, oder darf ich Sie mit Fräulein Aaron bekannt machen, die heute Ihren Platz belegt?«
»Amara, das gehört sich aber nicht«, flüsterte er mir mit einem kleinen Lächeln zu.
»Sie ist aber eine sehr aufgeklärte Dame. Sie besucht Vorlesungen an der Universität.«
»Ich kann mich doch nicht einfach aufdrängen.«
»Ich werde sie flehentlich bitten, Ihnen Obdach an Ihrem Stammtisch zu gewähren, gnädiger Herr.«
»Was bezweckst du, Amara?«
»Ihnen und Fräulein Aaron eine angenehme Unterhaltung zu verschaffen. Darf ich bitten?«
Resolut führte ich ihn zu dem Tisch.
»Gnädiges Fräulein, ein kleines Missgeschick ist Melisande heute passiert. Sie hat Ihnen einen reservierten Tisch zugewiesen. Ich muss inständig um Verzeihung bitten. Würde es Ihnen sehr ungelegen sein, ihn mit Graf von Massow zu teilen? Sie sehen, es ist recht belebt heute Abend.«
Linda Aaron schob die Brille ein Stückchen nach oben und betrachtete Julius freimütig.
»Haben wir uns nicht schon bei Professor Savigny getroffen?«
»Wenn das so wäre, müsste ich jetzt vor Scham in den Boden sinken, gnädiges Fräulein.«
»Nein, ich hätte es anders formulieren sollen – ich sah Sie letzthin bei dem
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