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Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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verstehe.«
    Sie unterhielten sich viel über zukünftige Pläne, und ihre Freundschaft festigte sich. Am letzten Abend, als die Annabella schon durch die herbstgraue Nordsee rauschte, fragte Jan Martin: »Was werden Sie als Nächstes unternehmen, Lothar?«
    »Meine Geschäfte werde ich wohl mal wieder persönlich regeln müssen«, seufzte de Haye. »Und das bedeutet zunächst eine Fahrt nach Magdeburg. Aber dann werde ich mich eine Weile in Europa umsehen. Paris, sagt man, soll eine schöne Stadt sein. Und nach drei Jahren Urwald möchte ich gerne wieder mal eine gewisse Zeit Kultur und anständiges Essen genießen.«
    »Ein verständliches Bedürfnis.«
    »Sie halten mich hoffentlich über Ihre Werdegänge auf dem Laufenden, meine Herren.«
    »Mit großem Vergnügen!«, versprachen Jan Martin und Gilbert.
    Als Folge dieses Versprechens sollte Lothar de Haye in den kommenden Jahren einige ungewöhnliche Berichte und die Nachricht über ein entsetzliches Unglück erhalten.

Kaffeeklatsch
    Das ist im Leben häßlich eingerichtet,
Daß bei den Rosen gleich die Dornen stehn,
Und was das arme Herz auch sehnt und dichtet,
Zum Schlusse kommt das Voneinandergehn.
    Joseph Victor von Scheffel
     
     
    In den Gesellschaftsnachrichten hieß es: »Am vergangenen Sonntag fand die Hochzeitsfeier von Julius von Massow, Sohn und Erbe von General Graf Victor von Massow, und der Tochter von Professor Dr. Jonathan Aaron, Mitglied der Humboldt-Universität und der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften...«
    Ich strich die Zeitung, die ich aus dem Café mit nach oben genommen hatte, glatt und schaute über mein kleines Schreibpult aus dem Fenster im zweiten Stock auf die Behrenstraße. Es tat weh, wenngleich die Meldung über die Verheiratung meines Jugendfreundes und der jungen, hochgebildeten Frau keine Überraschung für mich war. Genau genommen hatte ich sie sogar eingefädelt.
    Wieder war es Sommer geworden, doch heute ging ein kühler Nieselregen auf die grauen Dächer nieder. Im vergangenen Jahr um diese Zeit hatte ich für eine kurze Weile einen verrückten Traum geträumt. Nach dem Skandal, den die aufgelöste Verlobung mit Baroness Dorothea verursacht hatte, war Julius für einen Monat nach Evasruh gefahren, um Gras über die Angelegenheit wachsen zu lassen. Dann aber war er zurückgekehrt, um seine Aufgaben wieder zu übernehmen. Das Getuschel wurde leiser und verstummte schließlich ganz, denn andere Ereignisse liefen dieser gesellschaftlichen Sensation den Rang ab. Da wurde die Sternwarte in der Lindenstraße eingeweiht und nahm ihren Betrieb auf, Albert Lortzing begann sein Gastspiel am Königstädter Theater, in der Markgrafenstraße brannte die Zuckersiederei ab und bei dem Volksfest aus Anlass des Geburtstags König Friedrich Wilhelms III. kam es zu handgreiflichen Auseinandersetzungen von Lehrlingen und Gesellen mit den Gendarmen.
    Julius aber fand sich immer häufiger abends im Café ein und bat mich oft, ihn nach Arbeitsschluss auf einen Spaziergang zu begleiten. Das erste Mal erklärte ich mich mit freudig pochendem Herzen bereit, und in der lauen Sommernacht fanden wir zu der liebevollen Vertraulichkeit vergangener Tage zurück. Er erzählte mir von dem Leben auf dem Gut, von Nanny, die nun wieder in England bei Lady Henriettas Familie lebte, von seinen Ambitionen und Zielen. Und von seinen Gefühlen.
    Ich lauschte, beglückt, doch schon mit beginnender Trauer. Ich erwiderte seine Neigung. Mehr noch, ich war hoffnungslos verliebt in ihn. Hätte er sich nur eine Idee weniger korrekt verhalten, hätte ich mich mit Freuden an seinen Hals geworfen. So aber blieb es bei einem sanften Gutenachtkuss im Mondenschein.
    In der Nacht weinte ich mich mit bitteren Tränen in den Schlaf. Danach lehnte ich jede weitere Aufforderung zu einem gemeinsamen Spaziergang ab.
    »Ich verstehe«, hatte Julius nach dem dritten Mal, es war im August, gemurmelt. »Verzeih, wenn ich dir wehgetan habe, Amara. Ich wollte das nicht.«
    »Ich weiß.«
    Und dann war eines Tages diese junge Frau im Café aufgetaucht. Alleine, was schon an sich ungewöhnlich war. Mit einem Buch, das sie unter dem Arm geklemmt hatte, und der runden Brille auf der Nase machte sie einen noch seltsameren Eindruck, und aus dem unterschwelligen Geraune hörte man so etwas wie »Blaustrumpf«, »verrückte Amazone« und sogar »Brillenschlange« heraus, was die Dame jedoch nicht zu stören schien. Sie kam jeweils dienstags und freitags, trug ein

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