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Göttin der Wüste

Göttin der Wüste

Titel: Göttin der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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seine Gefühle ohnehin ersichtlich waren. Oder auch, weil das sonderbare Band, das von Anfang an zwischen ihnen existiert hatte, mit einemmal stärker war als je zuvor.
    Sie spürte die Zuneigung, die er für sie empfand, und wußte zugleich, daß es viel mehr war als das. Zuneigung war ein schwaches, hohl klingendes Wort. Aber Liebe? Wie konnte er sie lieben, wo er sie nie wirklich kennengelernt hatte?
    Ihr wurde klar, daß er viel mehr über sie wußte, als sie bislang vermutet hatte, daß er sie in- und auswendig kannte. Und sie begriff auch, warum er an jenem Abend vor zwei Monaten vor ihr zurückgeschreckt war. Er hatte ihr vorgeworfen, seine Gefühle zu durchstöbern, und nun hatte er das gleiche bei ihr getan. Er wußte, was sie für ihn empfand, hatte es schon gewußt, als er aufs Pferd gesprungen und ihr gefolgt war. Und ob sie es nun Zuneigung oder Liebe nannten, spielte längst keine Rolle mehr.
    »Werde ich wissen, was du denkst und was du tust, auch wenn achthundert Kilometer zwischen uns liegen?« fragte sie leise.
    Er zog ihren Kopf näher heran, und sie lehnte ihre Wange an seine Schulter. »Möglicherweise«, sagte er. »Warten wir’s ab.«
    »Warum gerade wir?« fragte sie, hob dann den Kopf, bis Adrian ihre Lippen sehen konnte. »Warum haben gerade wir diese … Begabung?«
    Darauf wußte er keine Antwort, auch nicht, als sie in seinen Gedanken danach forschte. Er war offenbar längst über den Punkt hinaus, an dem er noch nach Gründen für ihre Fähigkeiten fragte.
    Jetzt aber, da sie es ganz bewußt darauf anlegte, entdeckte sie noch etwas in ihm. Es war unscharf, unverständlich, so als versuche er, einen Teil seiner Gedanken gegen ihr Vordringen abzuschirmen. Rechtfertigte ein Kuß den Versuch, all seine Geheimnisse zu erforschen? Beschämt zog sie sich zurück und las nicht weiter in ihm.
    »Ich würde gerne mit dir kommen«, sagte er.
    Ihr Zögern währte eine Spur zu lange. Wenn sie ihn sofort ermutigt hätte, dann hätte er sich womöglich darauf eingelassen. So aber blockte er gleich darauf ab, selbst als sie sagte: »Das könntest du tun, wenn du wirklich wolltest.«
    Adrian schüttelte den Kopf. »Es wäre nicht gut.«
    »Deine Mutter hätte kein Verständnis dafür.«
    »Es ist nicht wegen Mutter. Es ist wegen uns.« Er sprach es nicht aus, aber er meinte wohl, daß es besser sei, ihre Gefühle nach den zwei Monaten der Trennung abzuwarten. Wenn beide dann noch genauso empfanden wie jetzt … was dann? Sie wußte es nicht, und sie fürchtete, er habe ebenfalls keine Antwort darauf. Abwarten. Ja, das war einfach: Warten wir’s ab …
    »Dein Bruder und du, ihr habt bestimmt viel zu bereden«, sagte er. »Und wenn du wiederkommst, reden wir miteinander. Falls du es dann noch willst.«
    Wußte er Bescheid über Elias? Hatte er in ihrem Kopf die ganze Wahrheit gefunden? Aber, nein, das hätte er nicht getan. Sie fand auch in seinem Verhalten keinen Hinweis darauf. Dafür mochte sie ihn gleich doppelt so sehr.
    Sie nickte stumm, dann küßten sie sich erneut, diesmal stürmischer.
    Als Adrian schließlich die Kutsche verließ, hielt er ihre Hand, bis er im Freien stand und die Tür schließen mußte. Zögernd gab er dem Lenker und den beiden Bewachern das Signal zur Weiterfahrt.
    Cendrine schaute zurück, aber bald bogen sie um eine Wegkehre, und die Auasberge verwehrten ihr die Sicht auf das, was hinter ihr lag. Es schien ihr fast ebenso ungewiß und unwirklich wie das, was sie noch erwarten mochte.
    ***
    Während ihrer Reise erinnerte sie sich an etwas, das sie einmal gelesen hatte: Hätte die Sonne einen Durchmesser von einem Kilometer, dann besäße die Erde gerade mal die Größe einer reifen Orange.
    Tatsächlich hatte die Welt um sie herum eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Apfelsine. Gelb, Ocker und Orange dominierten die Landschaft und das Licht; sogar ihre drei Begleiter schienen einen gelblichen Teint zu bekommen. Es lag an der Sonne, vor allem aber an dem felsigen Wüstenland, das sich öde in alle vier Himmelsrichtungen erstreckte. Es war, als färbte es auf die Menschen ab, die es durchquerten.
    Hin und wieder begegneten ihnen Eselskarren. Die Fahrer unterhielten sich mit den San in Khoi, einer der vielen Sprachen der Eingeborenen. Manchmal erstattete ihr einer der beiden Bewacher Bericht über das, was sie erfahren hatten: Meist erhielten sie nur die Bestätigung, daß es in dieser Gegend schon lange nicht mehr zu Unruhen gekommen war und daß sich die Schlachtfelder des

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