Göttin der Wüste
hatten. Vier riesige Dickhäuter trampelten nur wenige Meter von ihnen entfernt durch den Busch, gefolgt von ihren kaum halb so großen Jungen.
Die größte Gefahr des Kaokovelds, die Konfrontation mit Eingeborenen, blieb ihnen erspart. Abgesehen von einem Nomadenstamm der Ovahimba, der in der Ferne mit einer kleinen Rinder- und Ziegenherde lagerte, begegneten sie keiner Menschenseele. Ungestört passierten sie sonnenbeschienene Tafelberge, Haine aus knorrigen Mopanebäumen und lagunenartige Salzsümpfe an den Rändern ausgetrockneter Flußbetten.
Die beiden letzten Tage der Reise erwiesen sich als die mühsamsten, und es verging keine Stunde, in der Cendrine nicht bedauerte, sich jemals auf all das eingelassen zu haben. Um sie herum erstreckten sich die weißgelben Dünen der Namib, und obgleich auf der Karte eine Art Straße eingezeichnet war, sah die Wirklichkeit ganz anders aus. Die Route führte durch die offene Wüste und war lediglich von einer Reihe von Fahnenmasten mit wehenden Flaggen flankiert, die scheinbar willkürlich in einer losen Folge aufgepflanzt waren. Die Soldaten, die die Strecke kannten, erklärten Cendrine, daß es in dieser Gegend tödlich sein konnte, vom markierten Weg abzuweichen. Rechts und links gäbe es ausgedehnte Gebiete mit Treibsand, außerdem sei das Risiko nicht zu unterschätzen, sich im ewig gleichen Auf und Ab der Namibdünen zu verirren.
Einige Male wurden sie von Kamelkarawanen überholt, denen das Weiterkommen im Sand sehr viel leichter fiel als der behäbigen Kutsche. Auch ohne Treibsand sackten die Räder immer wieder ein und drohten sich festzufahren. Zweimal mußten die Rösser der Soldaten das Gefährt aus dem Sand ziehen, und Cendrine fühlte sich allmählich ebenso unbeholfen und untauglich für diese Reise wie der Wagen, in dem sie saß. Nur die Gewißheit, bald am Ziel zu sein, hielt sie weiterhin aufrecht. Ihre Zähigkeit, so schwankend sie unter der harten Oberfläche auch sein mochte, nötigte den Männern Respekt ab, und schließlich machten die Soldaten keinen Hehl mehr daraus, daß ihnen Cendrine ans Herz gewachsen war.
Der Engo, an dessen Atlantikmündung Elias’ Handelsstation lag, erwies sich als graue Schneise im Sand, eines der südafrikanischen Riviere: Flußbetten, die nur während der Regenzeit Wasser führen und danach innerhalb kürzester Zeit austrocknen. Riviere gab es überall in Südwest, sogar weit im Osten, wo sie ins Nichts mündeten und ihr Wasser im Sand versickerte.
Am fünfzehnten Tag endlich, als Cendrine schon glaubte, die Wüstenhitze müsse sie jeden Moment um den Verstand bringen, öffnete sich vor ihnen die offene See. Davor, auf einer Ansammlung sandiger Klippen, stand eine Handvoll Häuser.
Im Näherkommen, den Kopf weit aus dem Kutschenfenster gestreckt, zählte Cendrine achtzehn Dächer, von denen die meisten zu scheunenähnlichen Hütten gehörten; ob darin Menschen oder Tiere hausten, war aus der Ferne nicht zu erkennen. Die Klippen fielen nicht bis zum Ozean ab, sondern gingen an ihrem Fuß in einen schmalen Dünenstreifen über, keine fünfzig Meter breit. Das Zusammentreffen von Wüste und Ozean beeindruckte Cendrine hier noch weit mehr als damals in Swakopmund. Die Ödnis aus gelben und weißen Sandwehen sank ohne Übergang in die Wasserwüste des Atlantiks, wie zwei gegensätzliche Landschaftsgemälde, die man an den Kanten aneinandergelegt hatte.
Die Klippen stachen zerklüftet aus den Dünen empor, auf einer Breite von nicht mehr als hundertfünfzig Metern. Im Norden und Süden setzten sich die Sandhügel vom Wasser aus ungebrochen nach Osten fort. Die Felsen waren wahrscheinlich der einzige Ort im Umkreis von vielen Kilometern, wo eine Ansiedlung überhaupt existieren konnte, ohne Gefahr zu laufen, im Sand zu versinken.
Cendrine ertappte sich dabei, wie sie schon von weitem Vermutungen anstellte, welches der Häuser Elias gehören mochte. Angestrengt hielt sie nach Schrifttafeln und Wegweisern Ausschau, die auf eine Handelsstation hinwiesen. Noch aber entdeckte sie nichts dergleichen, und sie schalt sich selbst ein aufgeregtes Huhn.
Ein schmaler Weg schlängelte sich zwischen den Felsen zum Klippenkamm, auf dem die Häuser standen. Einmal kamen ihnen zwei Einheimische auf Kamelen entgegen, und ein ziemliches Gedränge entstand, als weder die Vorhut der Soldaten noch die beiden Kamelreiter ausweichen wollten.
Schließlich aber erreichten sie das Dorf. Das Felsplateau war annähernd oval und mochte an seiner
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