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Göttin der Wüste

Göttin der Wüste

Titel: Göttin der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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wo Lüderitz und andere Kolonistenstädte neue Anstellungen verhießen. Nur einer war mit den Kaskadens zurückgeblieben: Johannes, der stille Butler, der nie ein Wort zuviel sprach; Johannes, der sich trotz seiner Hautfarbe europäischer gab als jeder deutsche Einwanderer. Im Augenblick war er mit Adrians Eltern und den beiden Mädchen in der Kirche des Anwesens und hörte der Predigt des Kaplans aus Windhuk zu.
    Adrian war der Messe ferngeblieben. Madeleine hatte es längst aufgegeben, ihn zur Teilnahme zu überreden. Warum es ihn ausgerechnet in die Küche gezogen hatte, um Selkirks Niederschrift zu verbrennen, wußte er selbst nicht genau. Vielleicht, weil er so selten hierher kam, oder auch, weil ihm dies das Gefühl gab, den Rauch von Selkirks brennender Tinte nicht an Orte zu tragen, die ihm vertraut waren. Er wollte nicht, daß Selkirks Schatten – und sei es nur die Asche seiner Erinnerungen – sich erneut im Haus ausbreitete. Der Gedanke, die Mädchen könnten den Geruch seiner brennenden Worte einatmen, bereitete Adrian Unbehagen.
    Als er endlich alle Seiten einzeln verbrannt hatte, blieb nur noch der lederne Einband übrig. Adrian spürte keinen Triumph, als er ihn in die Glut warf und zuschaute, wie er zu schwarzer Asche zerfiel. Das Holz im Kamin war fast aufgezehrt, zuletzt hatte nur noch das Papier die Flammen am Leben erhalten. Jetzt, wo die Seiten verglüht waren, würde das Feuer innerhalb weniger Minuten erlöschen. Aber heute würde ohnehin niemand mehr in die Küche kommen. Erst morgen, im Laufe des Nachmittages, sollte eine neue Köchin aus Rehoboth eintreffen, eine Weiße. Solange Madeleine es ablehnte, sich selbst an den Ofen zu stellen, mußte die Familie mit kalten Speisen aus den Vorratskammern vorlieb nehmen.
    Adrian stand auf und trat durch die Hintertür des Backhauses ins Freie, vorbei an dem Brotofen und den leeren Teigtöpfen. Im Nordosten des Anwesens gab es einen schmalen Hof, der hinter einer Ecke in den Vorplatz der Stallungen mündete. Adrian, Titus und Johannes hatten im Morgengrauen notdürftig die Pferde versorgt; sie hofften, daß spätestens übermorgen neue Stallburschen gefunden sein würden. Titus hatte bereits einen seiner Vertrauten in Windhuk beauftragt, neue Bedienstete einzustellen, doch offenbar gestaltete sich dessen Arbeit schwieriger als erwartet. Kein Schwarzer wollte ins Tal kommen, und bald würden die Kaskadens das Angebot des Gouverneurs annehmen müssen, ihnen einige Männer und Frauen seines eigenen Hausstandes zu schicken. Titus haßte es, in Leutweins Schuld zu stehen, aber im Moment sah es aus, als würde ihm gar keine andere Wahl mehr bleiben, wollte er nicht wahllos Herumtreiber und Landstreicher einstellen. Auch Adrians Vorschlag, schwarze Arbeiter aus den Kupferminen abzuziehen, stieß bei seinem Vater auf keine Gegenliebe. Titus scheute das Risiko, daß sich die Geschichten vom Fluch über dem Haus der Kaskadens in den Minen herumsprachen und ihm auch dort die Angestellten vergraulten.
    Erschwert wurde die Suche nach Angestellten zudem, weil die Heuschreckenplage auch an Windhuk und den umliegenden Farmen nicht spurlos vorübergezogen war. Überall klagten die Menschen über kahle Felder und zerstörte Gärten. Die ersten Nachrichten, die während der vergangenen Tage aus Windhuk eingetroffen waren, ließen erahnen, daß die Insekten eine Schneise von mehr als hundert Kilometern quer durch Südwest gefressen hatten. Die Verwüstungen im Tal des Kaskadens waren nicht schlimmer als an vielen anderen Orten; allerdings fielen sie hier, wo einst große Flächen von Wein gediehen waren, stärker ins Auge. Daß die Bediensteten die Zerstörung auf den Ort selbst zurückführten, war lächerlich – aber, so fand Adrian, im Grunde gar nicht so schwer nachzuvollziehen. Die meisten wußten, was einst hier geschehen war, und nun, da sich ankündigte, daß irgend etwas von Osten näher rückte, waren die alten Wunden von neuem aufgebrochen.
    Und daß etwas näher kam, daran zweifelte niemand. Die einen fürchteten, es sei eine besonders schwere – und für die Jahreszeit ganz und gar ungewöhnliche – Regenfront. Andere waren der Ansicht, es könne sich um eine Art Epidemie handeln, irgendeine Krankheit, vor der die Tiere Reißaus nahmen. Der Gouverneur hatte Beobachter nach Osten geschickt, aber es mochte Wochen dauern, bis sie zurückkehrten – vorausgesetzt, es gelang ihnen überhaupt, tief genug in die Kalahari und damit zur Ursache der Vorfälle

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