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Göttin der Wüste

Göttin der Wüste

Titel: Göttin der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Weise, auf die sie die heiße Luft einatmete, den Wind auf der Haut spürte und den trockenen Geschmack der Dürre auf den Lippen ertastete, hatte sich gewandelt. Sie verlor alle Furcht vor diesem Land. Der unbewußte Schleier der Vorsicht und Zurückhaltung, der bislang ihre Wahrnehmung getrübt hatte, war endgültig zerrissen. Jetzt endlich erlebte sie die Wüste, wie sie wirklich war, und ihre Schönheit berauschte Cendrine und erfüllte sie mit Demut.
    Qabbo und sie hatten die übrigen Schamanen im Lager zurückgelassen und waren allein aufgebrochen. Beide ritten auf Kamelen, ein drittes Tier war mit Wasservorräten und Bündeln voller Nahrungsmittel bepackt.
    Sie hatte einige Male den Versuch gemacht, Qabbo über das, was mit ihr geschehen war, auszuhorchen, doch er gab immer nur wirre, verschlüsselte Antworten, die sie nicht verstand und die sie offenbar nur davon abhalten sollten, weitere Fragen zu stellen.
    Die Landschaft um sie herum war eintönig, ein weiß-gelbes Auf und Ab von Dünen, die sich in allen Richtungen bis zum Horizont erstreckten. Hin und wieder kreisten Aasvögel am Himmel, aber ihre Aufmerksamkeit galt nie den beiden Reitern, sondern immer nur verendeten Tieren, deren Kadaver verwesend im Sand lagen.
    Am erstaunlichsten war, wie wenig Cendrine die Hitze zu schaffen machte. Gewiß, sie schwitzte und hatte sich erneut Stirn und Nase verbrannt. Dennoch hatte sie nicht mehr das Gefühl, daß die Temperatur und die Trockenheit ihrem Körper alle Kräfte entzogen. Ihr erster Ritt durch das Kaokoveld und die Namib waren bisweilen furchtbare Torturen gewesen, doch diese Reise mit Qabbo durch die gefürchtete Omaheke und darüber hinaus in die Kalahari zehrte weit weniger an ihrer Verfassung. Sie hatte sich ein dünnes Tuch über Nacken und Hinterkopf gebunden, das sie vor einem Sonnenstich bewahren sollte, aber Qabbo beäugte es argwöhnisch und hin und wieder gar mit einem herablassenden Lächeln. Mittlerweile war sie sicher, daß die Sonne ihr auch ohne das Tuch nichts anhaben konnte; trotzdem nahm sie es nicht ab, und wenn auch nur aus stummem Protest gegen Qabbos Geheimnistuerei.
    Die nächtliche Kälte blieb unangenehm, daran hatte auch der Initiationsritus der Schamanen nichts ändern können. Allerdings schienen sich die frostigen Temperaturen nicht auf Cendrines Gesundheit auszuwirken. Sie fror, aber sie bekam keine Erkältung; manchmal taten ihr Zehen und Finger weh, und doch hatte sie nie Angst vor Erfrierungen. Alles in allem schien sich ihr ganzes Wesen an das der San angeglichen zu haben, so als hätte ihr Körper sich innerhalb weniger Tage an das afrikanische Klima gewöhnt und alle europäischen Empfindlichkeiten abgeworfen.
    Am Nachmittag des dritten Tages zeichnete sich zum erstenmal eine Veränderung am immer gleichen Horizont ab. Beim Näherkommen wuchs eine zerklüftete Form aus dem Dünenmeer empor, ein wild wucherndes Gebilde aus Stein, das sie im ersten Moment für die Ruinen Henochs hielt. Qabbo lachte, als sie ihn fragte, ob ihre Vermutung richtig sei, und bald erkannte sie ihren Fehler. Diese Felsen waren nicht von Menschenhand geformt, obgleich sie Cendrine an eine flach im Sand liegende Hand erinnerten, mit gewaltigen Granitfingern, die leicht gespreizt nach Norden wiesen.
    Auf ihren mürrischen Kamelen umrundeten sie zwei dieser langgestreckten Steinauswüchse. Cendrine beobachtete ein paar sonderbare Wüstenvögel, die abwartend auf den Kanten und Spitzen kauerten, Tiere mit räudigem Gefieder und müden Blicken.
    Qabbo lenkte sein Kamel in die Schneise zwischen dem zweiten und dritten Felsenfinger. Cendrine bog hinter ihm um die Ecke und erkannte, daß dort, wo die Steinwände aneinanderstießen, eine dunkle Öffnung klaffte. Der Eingang einer Höhle.
    »Es ist zu niedrig für die Tiere«, sagte Qabbo. »Wir müssen sie draußen lassen.«
    »Und wenn sie fortlaufen?«
    Qabbo lächelte. »Das werden sie nicht.«
    Sie ließ ihr Kamel zu Boden sinken und glitt aus dem Sattel. Nach den vielen Stunden schaukelnden Reitens kam es ihr beim Absteigen jedesmal vor, als würde der Wüstenboden unter ihr schwanken. Sie brauchte einige Sekunden, ehe sie ihr Gleichgewicht wiederfand.
    Qabbo wisperte den drei Kamelen etwas in die Ohren, dann trat er voran in die Dunkelheit. Cendrine zögerte kurz, als sie in der feigenförmigen Öffnung stand, dann aber folgte sie Qabbo.
    »Was suchen wir hier?« fragte sie. Ihre Stimme hallte hohl in den Tiefen des Gesteins wider.
    »Hab

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