Göttin der Wüste
an dem Haus haben sie sich nicht vergriffen. Ich bezweifle, daß überhaupt je einer von ihnen einen Fuß hier herein gesetzt hat.«
»Und die Weißen? Warum hat es kein anderer für sich beansprucht?«
»Als wir Deutschen nach Südwest kamen, hatten die Briten hier unten bereits weitgehend an Einfluß verloren. Unterschätzen Sie nicht die Macht meines Mannes. Er warf einen Blick auf diese Anlage, verliebte sich in die Architektur und die Lage in diesem Tal und ließ einige seiner Beziehungen spielen. Es war nicht einmal besonders schwer. Mühsam wurde es erst, als wir daran gingen, das ganze Gemäuer zu renovieren. Seien Sie froh, daß Sie damals noch nicht bei uns waren.« Zum erstenmal erschien ein Lächeln auf Madeleines Zügen. Es wirkte weniger heiter als grimmig.
Am Ende der Galerie, die den Kaskadens als Bibliothek diente, führte eine Treppe ins Erdgeschoß. Die Stufen endeten im ehemaligen Arbeitszimmer des Lords. Auch hier standen Bücherregale, außerdem ein gewaltiger Schreibtisch mit geschnitzten Raubkatzenfüßen und eine Garnitur Ledersessel. An den Wänden hingen vergilbte Karten und Pläne von Ausgrabungsstätten. Neben dem Schreibtisch stand ein Globus aus Holz, so hoch wie ein Mensch, ein wundervolles Stück.
»Wir nutzen diesen Raum nicht«, erklärte Madeleine mit leisem Seufzen. »Mein Mann hat eine sentimentale Ader, wissen Sie? Er besteht darauf, Selkirk diese letzte Ehre zu erweisen und alles so zu belassen, wie wir es vorgefunden haben. Nur die Dienstmädchen kommen her, um sauberzumachen.«
»Aber wir beiden sind doch hier«, bemerkte Cendrine lächelnd.
»Ich habe Sie nur auf diesem Weg zum Schulzimmer geführt, um Ihnen ein wenig vom Haus zu zeigen. Den Rest holen wir heute nachmittag nach, wenn es Ihnen recht ist. Jetzt sollten Sie erst einmal Lucrecia und Salome kennenlernen.«
»Das sind ungewöhnliche Namen«, sagte Cendrine, als sie Selkirks Arbeitszimmer verließen.
»Mein Mann ist ein großer Bewunderer der altrömischen Kultur, so wie vor ihm schon seine Eltern. Er wollte, daß unsere Kinder römische Namen tragen, genau wie er selbst.«
Cendrine lag die Bemerkung auf der Zunge, daß zwar Lucrecia römischer Herkunft war, der Name Salome aber aus dem alten Griechenland stammte. Allerdings stand es ihr nicht zu, ihre Herrschaft zu verbessern. Außerdem war sie hier, um die beiden Mädchen zu unterrichten, nicht deren Eltern.
Sie traten vom Korridor in einen kleineren Raum zur Linken. Er war einfach eingerichtet, mit hellen, freundlichen Tapeten und roten Vorhängen. In der Mitte standen zwei Schulbänke, davor ein Lehrerpult.
Salome und Lucrecia blickten den Frauen neugierig entgegen. Beide hatten langes blondes Haar wie ihre Mutter. Die eine trug es als Pferdeschwanz, die andere hatte es zu zwei Zöpfen geflochten. Die Mädchen sahen sich zum Verwechseln ähnlich.
»Das also sind unsere Zwillingsmädchen«, sagte Madeleine.
»Salome, steh bitte auf und begrüße Fräulein Muck.«
Das Mädchen mit den Zöpfen sprang flink hoch, trat um die Schulbank herum, reichte Cendrine mit einem artigen Knicks die Hand und lächelte freundlich. »Guten Morgen, Fräulein Muck.«
»Guten Morgen, Salome. Es freut mich, daß ich dich und deine Schwester endlich kennenlerne.«
Madeleine wandte sich an das zweite Mädchen. »Lucrecia, sei so gut und begrüße auch du eure neue Gouvernante.«
Salomes Schwester zog sich den Pferdeschwanz vom Rücken über die Schulter, als gehöre diese Geste zum Begrüßungsritus, dann erhob sie sich und trat gleichfalls mit einem Knicks vor Cendrine.
»Guten Tag«, sagte sie. Sie wirkte distanzierter, eher abwartend. Cendrine konnte sie gut verstehen, immerhin wußten die Mädchen noch nicht, was sie von ihr zu erwarten hatten.
Madeleine betrachtete die Szene zwischen ihren Töchtern und Cendrine so aufmerksam wie ein Kunstkenner ein Gemälde, von dessen Echtheit er sich überzeugen will. Schließlich wandte sie sich zur Tür, blieb dort noch einmal stehen und sagte: »Fräulein Muck, ich wünsche, daß Sie an jedem Morgen vor dem Unterricht ein Gebet mit den Mädchen sprechen.«
»Natürlich.«
»Vergessen Sie es nicht.« Mit diesen Worten verließ Madeleine das Schulzimmer und schloß die Tür hinter sich.
Cendrine wies die Zwillinge an, wieder ihre Plätze einzunehmen.
»Wer hat euch vor mir unterrichtet?« fragte sie.
Salome hob die Hand, und Cendrine nickte ihr mit einem Lächeln zu, erfreut über die gute Erziehung der beiden.
»Herr
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