Göttin der Wüste
flüsterte etwas, aber sie verstand sie nicht, hörte nur das Herz in ihrer Brust hämmern. Der Eindringling schüttelte den Kopf, legte einen Finger an seine schmalen Lippen, bedeutete ihr zu schweigen. Es war ein San. Unmöglich, sein Alter zu schätzen, dazu reichte der schwache Lichtschimmer nicht aus, der von den Öllampen vor dem Haus durch das Fenster hereinfiel.
Ich hätte nie herkommen dürfen, durchfuhr es sie. Eine Frau unter all diesen Männern. Und sie hatte ihnen auch noch zugelächelt!
Der San erkannte, daß sie sich nicht beruhigen würde. Er schaute sie fast traurig an. Eine Hand preßte er weiter auf ihre Lippen, die andere hob er vor ihr Gesicht. Murmelte etwas. Bewegte seine Finger in einem sonderbar gleitenden Rhythmus, wie zu einer Musik, die nur er hören konnte.
Cendrine spürte, wie ihre Kraft sie verließ. Die Erschöpfung kehrte zurück, um ein Vielfaches intensiver als zuvor. Etwas geschah mit ihr. Schwäche. Vergessen. Dann wieder Schlaf.
Tiefer, traumloser Schlaf.
Irgendwann erwachte sie erneut, und die gleißende Sonne Afrikas fiel durch das Fenster auf ihr Gesicht, blendete sie, als sie die Augen aufschlug. Von draußen drang der Lärm aus den Kupferhütten herein. Schrilles Quietschen verriet, daß Loren über das Netzwerk der Schienenstränge vor dem Haus geschoben wurden. Gebrüllte Befehle, Antworten in der Sprache der Eingeborenen. Flüche, aber auch Gelächter. Kein Hinweis mehr auf die Ereignisse der Nacht.
Doch die Erinnerung blieb – es dauerte nur eine Weile, ehe sie Cendrine wieder klar vor die Augen trat. Jemand war hier gewesen. In ihrem Zimmer!
Ihr Oberkörper fuhr hoch, und in einem Anflug neuerlicher Panik raste ihr Blick durch den Raum. Außer ihr war niemand hier. Das zugige Fenster war von innen verriegelt. Als sie aufstand und zur Tür ging, stellte sie fest, daß der Schlüssel noch immer herumgedreht im Schloß steckte. Wer immer bei ihr gewesen war, mußte durch Wände gehen können.
Ein Traum. Nur ein Traum.
Aber als sie wenig später, über die Wasserschüssel gebeugt, vorm Spiegel stand, musterte sie ihr Gesicht lange und gründlich. Waren da Kratzer? Oder Druckspuren? Nein, nichts war zu sehen. Trotzdem wusch sie sich mehrere Male die Mundpartie mit Wasser und Seife, bis ihre Lippen rauh und rissig wurden. Sie fühlte sich beschmutzt. Auch wenn ihre Erinnerung dagegen sprach, war ihr noch immer, als hätte jemand sie am ganzen Körper berührt. Brechreiz stieg in ihr auf, und Sekunden später kauerte sie schon auf allen vieren auf dem Boden und übergab sich in den Nachttopf.
Großer Gott, schoß es ihr durch den Kopf, können Träume einem so etwas antun? Nicht einmal nach ihrem Zusammenbruch am Fuß des Termitenhügels hatte sie sich so schlecht gefühlt. So besudelt.
Nicht, daß sie wirklich die Befürchtung hegte, man hätte sie im Schlaf vergewaltigt. Sie hatte ihren Unterleib betastet und war ziemlich sicher, daß nichts dort eingedrungen war. Niemand hatte ihr Gewalt angetan. Die Übelkeit war nur eine Folge ihrer Hilflosigkeit. Jemand war hier gewesen, und sie hatte nichts dagegen tun können. Sie war ihm vollkommen ausgeliefert gewesen.
Und doch mußte all das Unsinn sein. Einbildung. Ein böser Streich ihrer Sinne. Als sie das Zimmer verließ, angekleidet und reisebereit, mußte sie den Schlüssel zweimal im Schloß herumdrehen, genauso oft wie am Abend. Zudem hatte Titus einige der Bewaffneten am Eingang des Verwaltungsgebäudes postiert, andere waren die Nacht hindurch um das Haus patrouilliert. Niemand hätte ungesehen eindringen können.
Aber es war so real gewesen. So spürbar. Sie glaubte jetzt noch, die Hand auf ihren Lippen zu spüren, sah die hellen Augen vor sich, die über ihr in der Dunkelheit glühten. Die Augen eines San.
Auf dem Flur begegneten ihr die Mädchen und zogen sie fröhlich an den Händen zum Speiseraum. Es stellte sich heraus, daß Titus bereits gefrühstückt hatte. So war sie allein mit den Zwillingen, sprach mit ihnen über ihre Eindrücke von der Führung am Abend zuvor und hörte mit einem Schmunzeln zu, als sie erklärten, daß ihr Vater niemals Schwiegersöhne haben würde, die die Mine übernähmen, aus dem einfachen Grund, weil die beiden dazu hätten heiraten müssen – und das würde, wie sie sagten, ganz bestimmt nie, nie, nie passieren! Statt dessen wollten sie für immer zusammenbleiben.
Sie waren erst neun, deshalb widersprach Cendrine nicht. Wenn sie ehrlich zu sich war, mußte sie sich
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