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Göttin der Wüste

Göttin der Wüste

Titel: Göttin der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Ansiedlung im Schatten des zerklüfteten Kaiser-Wilhelm-Berges, bogen sie nach Osten in einen Schotterweg ein, der sie eine Stunde später endlich zur Kaskaden-Mine brachte.
    Es war ein ernüchternder Anblick, und mehr noch als Cendrine verdroß er die beiden Mädchen. Sie zogen lange Gesichter, selbst dann noch, als ihr Vater ihnen verriet, wieviel Geld allein diese Mine der Familie Jahr für Jahr einbrachte.
    Eine Vielzahl grauer Wellblechschuppen und Holzscheunen drängte sich an die seichte Flanke eines Berges. Hohe Schornsteine stachen zwischen den Gebäuden empor und spien schwarze Rauchfahnen in den Himmel. Hunderte von Eingeborenen schwärmten wie Ameisen umher, aber auch weiße Arbeiter waren darunter, ehemalige Diamantensucher, wie Cendrine bald darauf erfuhr, deren Suche glücklos verlaufen war.
    Alles wirkte schmutzig und ungepflegt, sogar die Fassade des Verwaltungsgebäudes, in das sie als erstes geführt wurden. Hier hatte man Zimmer für sie hergerichtet. Cendrine und die Kinder waren angenehm überrascht, als sich das Innere des Hauses als weit sauberer und komfortabler erwies, als sie von außen befürchtet hatten.
    Noch am gleichen Tag führte Titus die Mädchen und Cendrine über das Minengelände und verschaffte ihnen Einblick in alle Gebäude. Sie besichtigten einfache Lagerschuppen ebenso wie die großen Hallen mit den Hochöfen, in denen das abgebaute Kupfererz verhüttet wurde. Sogar die riesige Küche zeigte er ihnen und stellte sie der Chefköchin vor, die versprach, den Mädchen am Abend etwas ganz Besonderes zuzubereiten. Über Holztreppen und Leitern stiegen sie in einige der unterirdischen Minenstollen, doch die Mädchen bekamen Angst, und Titus hatte ein Einsehen und führte sie wieder ans Tageslicht.
    Während der ganzen Führung war ihnen ein Troß von schwarzen und weißen Männern gefolgt, Vorarbeiter und Verwalter, die sich dienstbeflissen um Titus und seine Töchter bemühten. Auch Cendrine wurde überaus zuvorkommend behandelt. Es kam selten vor, daß weiße Frauen sich hierher verirrten, und gewiß keine so jungen. Nach einer Weile ignorierte sie die begehrlichen Blicke, die ihr überallhin folgten, und hin und wieder, wenn sie sicher war, daß Titus nicht hinsah, rang sie sich sogar für einige der Arbeiter mit ihren nackten, staubigen Oberkörpern ein freundliches Lächeln ab.
    Sie aßen im Verwaltungsgebäude zu Abend – für die Mädchen gab es Karamelpudding mit Mandeln und Schlagsahne, was Cendrine an einem Ort wie diesem wie ein Wunder erschien –, und anschließend gingen sie alle erschöpft zu Bett. Anders als auf der Farm hatte Cendrine hier ein Zimmer für sich, sehr klein und ein wenig zugig, aber mit einem Fenster, das hinaus auf die Minenanlage wies. Auch bei Nacht wurde hier gearbeitet, und überall brannten Fackeln und Öllampen, ein funkelndes Lichtermeer, das aussah, als habe sich ein Stück Sternenhimmel wie ein Netz über den Berg gelegt.
    Um die Nachtruhe des hohen Besuchs nicht zu stören, standen die Öfen der Kupferhütten allerdings in dieser Nacht still, und Titus hatte angeordnet, daß an alle Arbeiter ein Glas Bier ausgeschenkt wurde. Auch jene, die unten in den Stollen schufteten, durften in Gruppen heraufkommen und eine Weile pausieren. Cendrine fand, dies waren armselige Zugeständnisse, aber die Arbeiter schienen sie zu würdigen. Immer wieder ertönten vereinzelte Hochrufe auf die Familie Kaskaden und ihren Patriarchen, was Cendrine so peinlich war, daß sie sich zeitweise die Bettdecke über die Ohren zog.
    Schließlich schlief sie ein und träumte von unterirdischen Gängen und Röhren, teils glichen sie jenen aus ihrer Vision vom Inneren des Termitenbaus, teils den labyrinthischen Stollen der Kupfermine. Diesmal aber wurde sie nicht gejagt, wanderte statt dessen fast gemächlich durch die Dunkelheit, ohne Licht, aber auch ohne Angst. Die Gelassenheit der Träume.
    Und dann, ganz plötzlich, sah sie ein Gesicht vor sich.
    Sie brauchte einige Herzschläge, ehe ihr bewußt wurde, daß sie wieder wach war. Dies war kein Traum!
    Das Gesicht war da, schwebte über ihr in der Finsternis des nächtlichen Zimmers. Klein, knochig, so dunkel wie das Erz in den Minen.
    Sie riß den Mund auf, wollte schreien, doch eine Hand schob sich über ihre Lippen. Sie riß die Arme hoch, verhedderte sich in der Decke, strampelte mit den Beinen, geriet in Panik.
    Augen, merkwürdig hell inmitten des schwarzen Gesichts, blickten sorgenvoll auf sie herab. Eine Stimme

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