Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Göttin der Wüste

Göttin der Wüste

Titel: Göttin der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
eingestehen, daß sie bis vor anderthalb Jahren das gleiche über sich und Elias gedacht hatte. Und sie war damals immerhin zwanzig und keine neun mehr gewesen …
    Sonderbar, jetzt an Elias zu denken. Etwas hatte sich verändert: die Art und Weise, wie sie über ihn dachte, aber auch ihre Gefühle bei den Erinnerungen an damals. Sie waren jetzt schon so lange getrennt, daß sie Mühe hatte, sich an die kleinen Fältchen um seine Augen zu erinnern, an das Lächeln, wenn er sie tröstete, an sein sanftes Flüstern in der Nacht. Und obwohl sie nun näher beieinander waren als in all den Monaten zuvor, fühlte sie sich ihm dennoch ferner denn je.
    Über all das verblaßten die Eindrücke der Nacht immer mehr, und schließlich kam es ihr albern vor, den Vorfall Titus gegenüber zu erwähnen. Man hätte sie nur als hysterisches Weibsbild abgetan, und sie konnte sich vorstellen, was die Vorarbeiter hinter ihrem Rücken über sie reden würden, wenn sich die Geschichte erst herumsprach.
    Titus Kaskaden erschien nach dem Frühstück und erklärte, daß es einige Dinge gab, die er hier zu erledigen habe, und daß er sie deshalb auf der Rückreise nicht begleiten könne. Er habe allerdings ein paar zusätzliche Wachleute abgestellt, so daß die Mädchen und Cendrine von nahezu dreißig Bewaffneten beschützt werden würden.
    Die Zwillinge waren traurig über diese Nachricht, doch Cendrine gelang es, sie aufzumuntern, und wenig später schon brachen sie auf. Titus küßte die Mädchen und umarmte dann sogar Cendrine auf ganz und gar väterliche Weise. Er schaute ihnen noch lang nach, als die Kutsche mit ihrem Troß von Bewaffneten davonschaukelte.
    Die Männer, die Titus zum zusätzlichen Schutz der Reisenden beordert hatte, waren allesamt San. Sie wirkten winzig auf den großen Pferden, und auch die Gewehre an ihren Sätteln wirkten riesenhaft neben ihnen. Für die Augen eines Europäers glichen sich die Gesichter der Eingeborenen auf verwirrende Weise, aus Ebenholz geschnitzte Masken, sonnengegerbt und kantig.
    War unter ihnen auch der Mann, der in Cendrines Zimmer eingedrungen war? Die Frage beschäftigte sie Stunde um Stunde, bis sogar den Mädchen auffiel, wie still sie geworden war.
    Aber Traumgespinste reiten nicht auf Pferden, sagte sie sich tapfer. Sie tragen keine Gewehre und sind nicht hier, um uns zu beschützen.
    Nein, ganz bestimmt nicht.
    Die Nacht verbrachten sie erneut auf der Farm des deutschen Ehepaars, aber während des Abendessens blieb Cendrine sehr ruhig, und nicht einmal die abenteuerlichen Geschichten, die ihnen ihre Gastgeber vom Leben in Südwest erzählten, vermochten sie aufzumuntern.
    Es war schon dunkel, als sie am späten Abend des folgenden Tages das Anwesen der Kaskadens erreichten. Cendrine sah durch das Kutschenfenster zu, wie die Bewaffneten vom Hauptweg in Richtung der Ställe abbogen. Der Wagen fuhr weiter über den Kieshof bis zum Portal des Haupthauses.
    Augenblicke später flog die Tür auf, und Madeleine kam ihnen entgegen, gefolgt von Adrian und einigen Dienern. Alle lachten und freuten sich über die Heimkehr, und erst später, allein in ihrem Zimmer, erinnerte Cendrine sich wieder an das Gesicht des San. An sein schwarzes, faltiges Gesicht in der Dunkelheit und an den salzigen Geschmack seiner Finger.

KAPITEL 6
    Zwei Wochen nach der Rückkehr Cendrines und der Mädchen platzte Valerian während des Frühstücks ins Morgenzimmer. Seine Uniform war mit Staub bedeckt, und er hatte nicht einmal seinen Hut abgesetzt.
    »Valerian!« Madeleine legte überrascht den Löffel ab, mit dem sie gerade ihr Frühstücksei aufschlug. »Was tust du denn hier?«
    »Ich komme geradewegs aus Windhuk«, keuchte er atemlos. »Muß das Pferd fast zuschanden geritten haben … Großer Aufruhr überall … Ich bin –«
    »Johannes«, wandte Madeleine sich an den Butler, ohne Valerian aussprechen zu lassen, »tragen Sie ein Gedeck für den jungen Herrn auf.« Die Ruhe ihres Frühstücks war ihr heilig.
    Cendrine beobachtete, wie Valerian sich auf einen freien Stuhl fallen ließ und tief durchatmete. Seine Finger zitterten, und er erschrak, als ein Dienstmädchen neben ihn trat und das Porzellangeschirr vor ihm abstellte. Erst allmählich ließ seine Anspannung nach.
    »So, mein Lieber«, sagte Madeleine und pellte in Ruhe ihr gekochtes Ei, »nun erzähl uns der Reihe nach, was passiert ist.«
    Madeleines Gelassenheit erstaunte Cendrine. Ihr eigener Herzschlag raste. Auch die beiden Mädchen wirkten

Weitere Kostenlose Bücher